20. März 2022
Wir verurteilen den am 24. Februar 2022 begonnenen Angriffskrieg der Russländischen Föderation gegen die unabhängige Ukraine auf das Schärfste. Dieser völkerrechtswidrige Krieg dient allein der Wiederherstellung eines reaktionären Großrussischen Imperiums in den Traditionen von Zarismus und Stalinismus. Die Leugnung der staatlichen Eigenständigkeit der Ukraine durch den russischen Autokraten Putin, die bis in die Gegenwart nicht erfolgte Anerkennung der Ungültigkeit des Hitler-Stalin-Pakts und der darauf gegründeten gewaltsamen Eroberungen durch die Sowjetunion sowie die Unterdrückung von politischer Opposition und Zivilgesellschaft innerhalb der Russländischen Föderation heute machen die Zielstellung dieses reaktionären Angriffskrieges überdeutlich: Dem Putin-Regime geht es nicht nur um die Abwehr der NATO im Überlebenskampf des reaktionären fossil-industriellen Renten-Kapitalismus Russlands in der Konkurrenz der kapitalistischen Weltmächte. Es geht ihm mehr noch um die Wiederherstellung des imperialen Völkergefängnisses Großrusslands mit den Mitteln des Autokratismus und Militarismus. Der Revanchismus des heutigen russischen Imperialismus ist eine Bedrohung für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und Staaten an den Grenzen der Russländischen Föderation vom Baltikum bis nach Kasachstan. Die Verhinderung aller Revolutionen gegen autokratische Regime im postsowjetischen Raum ist ein erklärtes außenpolitisches Ziel Moskaus.
Mit dem reaktionären Überfall auf die unabhängige Ukraine hat das Putin-Regime alle Argumente über legitime Sicherheitsinteressen Russlands, die namentlich die Einkreisungsstrategie der USA und ihres NATO-Anhangs gegenüber Russland betreffen, selber hinfällig gemacht; denn dieser Überfall wurde zum Geburtshelfer für die politische und militärische Wiederauferstehung einer schon für hirntot erklärten NATO und eines neuen Rüstungswettlaufes, auf den die kalten Krieger innerhalb der NATO-Staaten schon lange gewartet hatten. Um die NATO auf Distanz zu den Grenzen Russlands zu halten, hätte es selbst für das autoritäre Putin-Regime andere Möglichkeiten gegeben, als diesen Aggressionskrieg vom Zaun zu brechen; schon eine begrenzte militärische Destabilisierung der Ukraine wie im Donbas, hätte einen Beitritt des Landes in die NATO verhindert.
Doch der brutale Aggressionskrieg, den die Russländische Föderation heute gegen eine selbständige und unabhängige Ukraine führt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Krieg nur eine neue grausame Facette eines globalen imperialistischen Konkurrenzkampfes ist, in dem die USA ihren Platz als dominierende Weltmacht dadurch zu verteidigen suchen, dass sie Russland und China politisch, militärisch und ökonomisch stutzen, wo immer es geht. Sowohl hinsichtlich der Rüstungsaufwendungen als auch ökonomisch sind die NATO-Staaten der Russländischen Föderation bereits heute um ein Vielfaches überlegen. Und die von den NATO-Staaten und besonders von der deutschen Politik verurteilte Brechung von Völkerrecht und europäischer Friedensordnung durch Russland ist scheinheilig und verlogen. NATO-Staaten, voran die USA, haben seit 1989 zigfach gegen Völkerrecht und Friedensordnung verstoßen, im Nahen und Mittleren Osten, in Europa. Die rot-grün regierte BRD hat lange vor dem heutigen Gewaltakt Russlands, indem sie an der Seite der USA Serbien angriff, mit dazu beigetragen, die europäischen Grenzen kriegerisch durch die Abtrennung des Kossovo zu verändern. Dieser Kontext lässt uns zu entschiedenen Gegner:innen der heutigen Aufrüstungshysterie des deutschen Politikestablishements werden, das Menschenrechtsverletzungen, Kriegsopfer und Flüchtlingselend beschweigt, wenn das seinen Interessen nutzt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir als linke Aufrüstungsgegner:innen keine Partei für den Unabhängigkeitskampf in der Ukraine gegen die Aggression Russlands ergreifen. Unsere Solidarität und unsere praktische Unterstützung gehört allen Kämpfer:innen in der Ukraine und in Russland, die die Unabhängigkeit der Ukraine verteidigen und sich für eine radikale soziale Demokratie in der Ukraine wie in Russland einsetzen. Wir werden uns als emanzipatorische Linke nicht hinter allgemeinen geostrategischen Erörterungen über den Konkurrenzkampf kapitalistischer Weltmächte verschanzen, um eine vermeintliche Neutralität in diesem Konflikt vorzutäuschen, die faktisch eine Relativierung der Vergewaltigung eines kleineren Landes durch ein großes Land bedeutet.
Dabei verkennen wir keinesfalls den reaktionären Charakter des oligarchischen Systems in der Ukraine, die für das Land zerstörerische Einseitigkeit einer Politik der Westbindung und des NATO-Beitritts sowie den starken Einfluss ultranationalistischer und faschistischer Kräfte im Militär und in der Geschichtspolitik. Doch gehört es zu den Kapriolen der Geschichte, dass die Handlungsspielräume für emanzipatorische Bewegungen und politische Organisationen in der Ukraine um ein Vielfaches größer sind als in der nationalistischen Russländischen Föderation und erst recht in den russisch-chauvinistisch beherrschten Donbas-Republiken. Unter einer in diesem Krieg siegreichen Knute des imperialistischen Russlands wird es in der Ukraine wie auch in Russland keine geduldeten emanzipatorischen Bewegungen mehr geben. Schließlich ist der Kampf gegen „westliche Dekadenz“ und „Individualismus“ und der Kampf für „traditionelle Werte“ von „Familie“, „Glauben“ und Obrigkeitsstaat die ideologische Achse jener „neuen Weltordnung“, für die das imperialistische Russland nach innen und außen steht. Deshalb ist der Kampf um eine unabhängige Ukraine vor allem auch ein Kampf für die Freiheit von emanzipatorischen Bewegungen.
Doch solche komplexen Widersprüche interessieren eine ideologisch vernagelte und höchst einseitig auf den westlichen Imperialismus fixierte Linke nicht, die das Entstehen neuer Imperialismen im Osten und deren Verbrechen ignoriert oder relativiert. Deshalb verurteilen wir mit besonderer Schärfe namentlich jene „linken“ Lakaien des Putin-Regimes und seines Aggressionskrieges, die in der jungen welt oder in der rotbraunen Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation wie bezahlte Agent:innen des Kreml in trauter Querfrontmanier mit Rechtsradikalen von Europa bis USA dem Aggressionskrieg des Putin-Regimes huldigen.
Im Kampf der imperialistischen Mächte gilt unsere Solidarität in dieser Situation allein der ukrainischen und russischen Bevölkerung, die sich gegen die imperialistische Aggression der Russländischen Föderation wehrt. Sie gilt insbesondere den Aktivist:innen einer freiheitlichen und multiethnischen, einer radikal demokratischen und sozialen Demokratie in der Ukraine und in Russland. Und sie gilt den Soldaten der russischen Armee, die desertieren, ihre Waffen niederlegen und sich mit den Verteidiger:innen der Unabhängigkeit der Ukraine verbrüdern.
Wir fordern den sofortigen Abzug aller Aggressionstruppen Russlands aus der Ukraine und einen Frieden ohne jegliche Annexion! Die endgültige Zugehörigkeit des Donbas und der Krim zur Ukraine oder zur Russländischen Föderation sollte in einem freien und fairen Volksentscheid unter UNO-Kontrolle mit Hilfe neutraler Militärmächte geregelt werden.
Für eine freie und unabhängige Ukraine ohne Putinismus und ohne Stalin- oder Bandera-Kult! Für eine freie und soziale Ukraine, für ein freies und soziales Russland – ohne Autokratie, Oligarchie und Nationalismus!
Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Berlin, den 20. März 2022