von AK Geschhte sozialer Bewegungen Ost-West, 07. Juni 2015

Der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegung Ost-West (AK Geschichte) weist die von der Redaktion der Zeitschrift Telegraph gegen ihn in der o. g. Erklärung erhobenen Vorwürfe aufs Schärfste zurück. Es trifft weder zu, dass der AK Geschichte bei einer dem 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus gewidmeten Veranstaltung einen „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ habe auftreten lassen, noch wurde durch diese Veranstaltung der „antifaschistische Konsens“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte (HdDM) verletzt. Ebenso entschieden weist der AK Geschichte die Behauptung der Telegraph-Redaktion zurück, unsere Veranstaltung stünde in irgendeinem Zusammenhang mit einer „Diskreditierung“ des Festes zum Tag der Befreiung im Haus der Demokratie und Menschenrechte am 8. Mai.

Die Erklärung der Redaktion Telegraph trägt einen verleumderischen und verlogenen Charakter, und die Verhaltensweise der Telegraph-Redaktion widerspricht elementaren Regeln antifaschistischer Solidarität.

Was ist geschehen?

Zum 70. Jahrestag der Befreiung hatte der AK Geschichte für mehrere Bildungseinrichtungen zwei Veranstaltungen organisiert. Die erste Veranstaltung, am 15. Mai, trug den Titel Zwischen Befreiung und neuer Weltordnung der Blöcke. Eine Veranstaltung gegen alte und neue Mythen; die zweite Veranstaltung am 22. Mai, die im Deutsch-Russischen Museum stattfand, hatte das Thema Zwischen Triumph und Trauma. Der 8. Mai 1945 in der Sowjetunion und in Russland heute. Die Erinnerung an das Ende des zweiten Weltkrieges.

Zur ersten Veranstaltung hatten wir Prof. Peter Brandt eingeladen, um über das Thema „Antikapitalistische Perspektiven 1945 und die verhinderte Neuordnung in Westeuropa und Westdeutschland“ zu sprechen. Peter Brandt ist als Mitglied der Historischen Kommission der SPD ein ausgewiesener Historiker der Geschichte der Arbeiter/innenbewegung, des antifaschistischen Widerstandes und der Europäischen Verfassungsgeschichte. Für unsere Einladung an ihn waren seine Forschungsarbeiten zur Neuentstehung der Arbeiter/innenbewegung und zu den Antifa-Ausschüssen und ihren Schicksalen im Jahre 1945 entscheidend. Die von Peter Brandt zum Thema „Linke und nationale Frage“ vertretenen Positionen sind zwar diskussionswürdig und stoßen in Teilen der Linken auf massiven Widerspruch; sie tragen jedoch keinen „nationalrevolutionären“, von der konservativen Revolution geprägten völkisch-nationalistischen Charakter und waren zudem nicht Gegenstand unserer Veranstaltung.

In ihrer am Veranstaltungsabend verteilten Protesterklärung hatte die Redaktion Telegraph mit hysterischen Worten wie „Brandtgefährlich!!!! Kein Podium für Nationalrevolutionäre!“ gegen den Vortrag Peter Brandts protestiert und erklärt, dieser „sei für einen Auftritt in einem Haus der Demokratie und Menschenrechte“ nicht geeignet. Brandt sei als SPD-Mitglied ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“, der in „Medien der ‚Neuen Rechten’“ publiziere. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen unserer Veranstaltung bzw. dem Auftritt von Peter Brandt zu einem angeblichen Versuch unseres Arbeitskreises hergestellt, das Hausfest zum Tag der Befreiung zu „diskreditieren.“ Auf der Grundlage einer dem Wortlaut der Erklärung gleichen Presseerklärung erschien am 18. Mai in der TAZ dann ein Artikel, der die Verleumdungen des Telegraph ungeprüft wiederholte.

Die Protesterklärung des Telegraph bemühte kein einziges Argument, weshalb Peter Brandt ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ sei. Die Links zu Artikeln über Peter Brandt, die als Anhang der Erklärung verteilt und sodann verschickt wurden, machen jedoch deutlich, dass die erhobenen Vorwürfe aus Quellen stammen, die „rechte Nationalrevolutionäre“ von „linken Patrioten“ weder unterscheiden können noch wollen, erst recht nicht die internen Differenzierungen der Letzteren. Am Ende wird aus der Erklärung der Telegraph-Redaktion dann auch sichtbar, dass der Protest gegen den Auftritt Peter Brandts nicht nur aus der Perspektive von „Antifaschisten“, sondern zugleich auch aus der gegen alle „Linksnationalen“ erfolgt. Damit werden „linke Patrioten“ – also auch das Gros des Widerstands aus den Reihen der Arbeiter/innenbewegung gegen den Hitlerfaschismus – aus dem Antifaschismus der Redaktion Telegraph ausgeschlossen.

Obwohl der Redaktion des Telegraph bereits Tage vor der Veranstaltung bekannt war, dass unsere Recherchen zur Person Peter Brandts zu einem Festhalten an der Einladung führen würden, hatte die Telegraph-Redaktion keinerlei Kontakt zu uns aufgenommen und Widerspruch angemeldet. Auch dies macht deutlich, dass die Redaktion des Telegraph sich mit ihrer „antinationalen“ Phobie die Rolle von Ajatollas und Obersten Richtern des Antifaschismus anmaßt. Die erhobenen Vorwürfe dienen ausschließlich der Denunziation unseres Arbeitskreises wie des Stiftungsvorstands. In beiden Einrichtungen sind entschiedene Antifaschist/innen tätig, die erst unlängst gegen die Neue Rechte mobilisiert hatten. Zudem war Peter Brandt bereits im letzten Jahr für die VVN-BdA im Haus der Demokratie und Menschenrechte aufgetreten, um über den antifaschistischen Widerstand zu sprechen.

Unsolidarische Reaktion der Telegraph-Redaktion

Empörend am verleumderischen Vorgehen seitens der Telegraph-Redaktion ist weiterhin, dass sie in ihrer nach unserer Veranstaltung verbreiteten Presseerklärung unseren politisch-praktischen Umgang mit den uns mitgeteilten Informationen über die Kommunikation Peter Brandts mit rechten Medien unterschlägt. Denn unmittelbar nach diesen Hinweisen haben wir eine umfangreiche Recherche durchgeführt, ob Peter Brandt inzwischen in die „rechte Szene abgewandert“ sei. Obgleich wir selbst strikt jede Kommunikation mit rechten Medien ablehnen und solchen Umgang als sehr problematisch ansehen, sind wir dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass Peter Brandt nach wie vor ein linkssozialdemokratischer Historiker ist, was in seinen Texten mehr als deutlich wird.

Gemeinsam mit dem Vorstand der Stiftung HdDM beschlossen wir, die Veranstaltung wie geplant durchzuführen und Vorbehalte gegen Peter Brandt wie auch das Ergebnis unserer Prüfung in einer gemeinsamen Erklärung am Beginn vorzutragen sowie den Teilnehmer/innen die Möglichkeit einzuräumen, an den Referenten und uns Fragen zu stellen. Eine solche transparente Verfahrensweise sehen wir als die einzig mögliche Form eines emanzipatorischen Umgangs mit auftretenden Konflikten an. Das Diskussionsangebot wurde jedoch von dem anwesenden Redakteur des Telegraph, Dietmar Wolf, der zuvor die Protesterklärung verteilt hatte, nicht wahrgenommen. Nachdem unsere Erklärung verlesen und die Bitte um Fragen ans Publikum ergangen waren, verließ er still schweigend den Raum. In der per Presseerklärung am nächsten Tag vom Telegraph verbreiteten Erklärung findet sich davon jedoch nichts wieder.

Hintergründe der Verleumdung

Auch der von der Redaktion des Telegraph in ihrer Erklärung hergestellte Zusammenhang zwischen einer „Diskriminierung“ des Tags der Befreiung im HdDM und unserer Veranstaltung beruht auf einer bloßen Verleumdung. Die Wahrheit ist, dass es in der Stiftung des Hauses einen Konflikt um die Gestaltung des Tags der Befreiung gibt, weil der Telegraph als maßgeblicher Organisator des Festes in den vergangenen Jahren im Namen des gesamten Hauses ein einseitig prosowjetisch orientiertes Fest durchgeführt hat. Eine solch einseitige Ausrichtung entspricht jedoch nicht der Vielfalt und Breite der antifaschistischen Organisationen, die im Haus vertreten sind. Diese erwarten ein Fest, welches nicht nur allen Alliierten danken müsste, sondern vor allem den Soldat/innen, Partisan/innen und Widerständler/innen. Auch in diesem Punkt geht es darum, dass die sektiererische Praxis der Redaktion des Telegraph maßgeblich verantwortlich für die entstandenen Konflikte ist.

Im Vorwurf an den AK Geschichte, den 8. Mai „debattieren“ und nicht „feiern“ zu wollen, kommt jedoch ein über die aktuellen Anlässe weit hinaus gehender und tiefer reichender Konflikt innerhalb der Linken zum Ausdruck. Bis heute verstehen große Teile der Linken die Geschichte als mythologischen Vorrat ihrer eigenen Identitätsbildung und linker Ersatzreligionen, nicht als Baustelle für die Produktion von Erkenntnissen. Der AK Geschichte hat sich im Jahre 2003 unter anderem auch deshalb gebildet, um historische Ereignisse einer kritischen Neusichtung zu unterziehen, damit sie für emanzipatorische Bewegungen der Gegenwart erschlossen werden können. Die Zerstörung nicht nur bürgerlicher, sondern gerade auch linker Mythen und die Freilegung der treibenden Widersprüche auch in der Vergangenheit ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Eben hierin sieht der AK Geschichte seine Funktion für eine emanzipatorische Linke.

Unsere Antworten auf die Verleumdungen des Telegraph

Dieser selbst gestellten Aufgabe entsprechend, wird der AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West jene durch die Veranstaltung mit Peter Brandt aufgebrochenen Konflikte als produktive Herausforderung begreifen und die damit zusammenhängenden Probleme öffentlich thematisieren. Als erstes werden wir uns in einer Veranstaltung mit den Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Grenzen einer Kommunikation von Antifaschist/innen ‚nach rechts’ in Zeiten von AfD, Pegida und Co. beschäftigen. Angesichts des europaweit anschwellenden Rechtspopulismus halten wir dies für eine politisch nicht nur brisante, sondern auch existenziell wichtige Frage für eine Linke, die den Kampf um die Hegemonie in der Gesellschaft endlich aufnehmen muss.

Von der Redaktion des Telegraph erwartet der AK Geschichte nicht nur eine Entschuldigung für seine verleumderische Erklärung, die andere Antifaschist/innen wie Peter Brandt ins „rechte Lager“ stellt und uns unausgesprochen, aber faktisch, zu „Handlangern“ der Neuen Rechten macht. Zudem ist die Redaktion des Telegraph ihren Leser/innen eine Erklärung darüber schuldig, wie dieses Pamphlet zustande kam. Es ist in Inhalt wie Form eine Schande für eine Zeitschrift, die den Anspruch erhebt antifaschistisch zu sein. Schlimmer als die aktuelle Redaktion es gerade getan hat, lassen sich Begriffe wie „Antifaschismus“ oder „Nationalrevolutionär“ wohl kaum vulgarisieren. Mit ihrem Verhalten hat die Redaktion des Telegraph ihr Sektierertum mehr als kenntlich gemacht und einer breiten antifaschistischen Widerstandsbewegung einen Bärendienst erwiesen.

Berlin, den 7. Juni 2015

AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West

Bernd Gehrke, Willi Hajek, Renate Hürtgen

Mehr Informationen: https://geschichtevonuntenostwest.wordpress.com/aktuelle-debatte/

Erklärung vom 15. Mai 2015 zur Veranstaltung mit Peter Brandt

Der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West hat zwei Veranstaltungen anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges über den deutschen Faschismus in Zusammenarbeit mit der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte vorbereitet. Zur Diskussion des Themas „Zwischen Befreiung und neuer Weltordnung der Blöcke“ wurde Prof. Dr. Peter Brandt eingeladen, weil er sich als Historiker intensiv mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, namentlich mit der nach 1945, beschäftigt

 Arbeitskreis und dem Vorstand der Stiftung gegenüber wurden jedoch Vorbehalte gegen den Referenten geäußert. Als Grund wurden ein Interview Peter Brandts im Blatt der Neuen Rechten Junge Freiheit sowie andere Veröffentlichungen in rechten Medien und ein Vortrag bei einer Burschenschaft genannt.

Da der AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West und die Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte nicht nur antifaschistische Positionen vertreten, sondern angesichts des verstärkten Auftretens rechtspopulistischer Bewegungen wie PEGIDA auch entschieden dagegen mobilisiert haben und jede Querfrontpolitik ablehnen, haben wir diese Bedenken einer ernsthaften Prüfung unterzogen.

Aus unserer Sicht ist eine Publikation in dem Leitmedium der Neuen Rechten in der Bundesrepublik grundsätzlich problematisch und eine politische Debatte mit Zeitschriftenprojekten wie der „Jungen Freiheit“ gehört nicht in unsere eigene Praxis. Jedoch muss das Haus der Demokratie und Menschenrechte auch ein Ort der politischen Kontroverse bleiben und sehr achtsam mit Ausladungen und Ausgrenzungen umgehen.

Im Ergebnis unserer Recherchen stellen wir fest, dass Peter Brandt ein kompetenter sozialdemokratisch-linkssozialistischer Historiker ist, weswegen er auch von uns eingeladen wurde, zu dem heutigen Thema zu sprechen. Peter Brandts Kommunikation mit rechten Medien ist aus unserer Sicht kein Ausdruck seiner Verankerung in rechten Kommunikations- und Politikstrukturen. Die von ihm dort vertretenen inhaltlichen Positionen belegen dies eindeutig. Peter Brandt ist neben seiner Arbeit an der Universität gewerkschaftlich und parteipolitisch im Umfeld von SPD und Linkspartei tätig. Auch die Gespräche, die wir in den letzten Tagen mit ihm geführt haben, überzeugten uns.

Aus diesen Gründen sind wir bei unserer Einladung an Peter Brandt geblieben und werden die Veranstaltung wie geplant durchführen.

AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West

Vorstand der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte

Berlin, den 15. 5. 2015

Was ist los im Haus der Demokratie und Menschenrechte?

Offener Brief von Renate Hürtgen

Liebe Freund/innen, liebe Kolleg/innen,

vor einigen Tagen habt Ihr eine Erklärung der Redaktion Telegraph, „Brandgefährlich – Kein Podium für Nationalrevolutionäre im Haus der Demokratie und Menschenrechte!“, erhalten. In ihr wird u. a. auf eine Gruppe im Haus verwiesen, welche ein Fest zum 8. Mai 1945 verhindern wolle. Im weiteren Kontext wird klar, dass dieselben Personen eine Veranstaltung organisiert haben, die Peter Brandt, einen „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ als Referenten eingeladen haben. Der Kontext macht auch klar, dass es sich dabei also um einen ebenfalls dem rechten Lager zuzurechnenden Kreis handelt, mein Name wird genannt. Seit der Veröffentlichung dieses Telegraphbriefes an die Presse, werde ich von meinen politischen Freund/innen gefragt, was denn da im Hause los sei und ob die Redaktion des Telegraph nicht bei Troste ist, derartiges über mich zu verbreiten. Um nicht jedem Nachfrager einzeln antworten zu müssen, versuche ich eine kurze Erläuterung.

Sei über zwei Jahren bin ich nach langer Pause wieder als Kuratorin der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte tätig, in jenem „Entscheidungsgremium“, von dem auch die Redaktion Telegraph spricht. In Vorbereitung eines Festes am 8. Mai 2014, das bereits einige Male als Hausfest durchgeführt worden war, erfuhr ich von einer heftigen Kontroverse im Kuratorium und in der Stiftung. U. a. berichteten die einen davon, dass sie sich künftig nicht an einer Feier beteiligen wollen, auf der wie in der Vergangenheit geschehen eine stalinistische Lobeshymne abgespielt wird, andere bestritten das Abspielen solcher Hymne bzw. meinten, da sie von dem DDR-Dichter Stephan Hermlin ins Deutsche übersetzt sei, der inzwischen dem Stalinismus abgeschworen hatte, könne man sie abspielen. Der Konflikt ging jedoch viel weiter als diese Kontroverse um die stalinistische Hymne zum Ausdruck brachte. In einer Diskussion und Auswertung des Festes am 8. Mai 2014 im Kuratorium wurde deutlich, dass ein Fest zum Tag der Befreiung, das wie bis dato vom Telegraph im Namen des ganzen Hauses organisiert wurde, aber ausschließlich den Sieg der Roten Armee gegen den deutschen Faschismus feiert, kein Hausfest legitimiert, in dem sich alle im Haus vertreten fühlen; dass ein Fest, das alle anderen Befreier außen vor lässt, die Soldaten der Alliierten, die Widerständler und Partisanen ausblendet, nicht im Namen des Hauses stattfinden kann. Hinzu kam, dass eine Mehrheit im Kuratorium der Stiftung Haus der Demokratie beschloss, dass, wenn ein Hausfest im nächsten Jahr stattfinden sollte, es unbedingt die historischen Ambivalenzen dieses Tages einbeziehen muss. Dieses Ergebnis war Ausdruck des Selbstverständnisses des Hauses, das auch ein Haus der Menschenrechte ist und in dem ein breites politisches Spektrum von Gruppen respektive Nutzer/innen arbeitet, von denen nur die wenigsten diese einseitige und zudem völlig unkritische und unreflektierte Orientierung auf den Sieg der Sowjetunion mittragen können. Wenn eine dieser Gruppen ihr eigenes politisches Verständnis zum Maßstab für alle setzt, ist der Charakter des Hauses gefährdet.

Was nun begann, werden wohl die Vertreter des Telegraph im Kuratorium irrtümlich als „Klassenkampf“ verstanden haben: Sie sorgten maßgeblich dafür, das Sebastian Gerhardt, der Vorstandvorsitzende, das Handtuch warf, sie erschwerten die Arbeit im Kuratorium durch unflätiges und unkonstruktives Auftreten. Ihr „Kampf“ richtet sich mit ganzer Härte gegen die „Gegner“, die das Fest der Befreiung mit ihrer Kritik an der bisherigen einseitigen und unkritischen Ausrichtung und dem geschilderten Anliegen einer breiten und kritisch-reflektierenden Ausrichtung „diskreditieren wollen,“ zumal gegen jene, die „unbedingt im Rahmen des 70. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus über Stalinismus sowie die Nachkriegsgeschichte Europas debattieren“ wollen. Wer nicht wie die Redaktion des Telegraph die Feste in der Art des Telegraph feiere, wer sogar noch über den Stalinismus diskutieren wolle, gehöre in die „rechte Ecke.“

Wenn es nicht so ernst wäre, weil diese sektiererische Haltung natürlich dem Haus mit seinen Dutzenden darin vertretenen Organisationen sehr schadet, kann mensch eigentlich nur den Kopf schütteln. Leider jedoch sind bündnisunfähige Menschen in einem Haus, das ohne große Toleranz und gegenseitige Achtung auch vor der politisch anderen Sozialisation und Meinung keinen Bestand hat, eine große Gefahr.

Nun also ihr Vorgehen gegen unsere Veranstaltung. Die Redaktion des Telegraph outet sich als „antinational“, übernimmt von den „Antideutschen“ deren Bezeichnung des Historikers Brandt als „Nationalrevolutionär,“ also dem völkisch-nationalen Lager zugehörig und tritt an, diese Veranstaltung zu verhindern. Wer nicht durch diese Brille guckt, weiß, dass Brandt ein linkssozialdemokratischer Historiker ist, der in seinen Auffassungen zur Nation Robert Havemann nahe steht, eben jenem Havemann, nach dem unser Saal im Haus benannt ist. Die Redaktion Telegraph hat es bei ein paar Anschuldigungen in einer Erklärung belassen, der Aufforderung, mit Peter Brandt zu diskutieren, kam sie nicht nach. Das alles wundert mich umso mehr, als es in der Redaktion auch Personen gibt, deren politisches Verständnis bisher nicht dem antinational-antideutschen Spektrum einzuordnen war.

Mit unserer Veranstaltung verband sich allerdings eine bündnispolitisch tatsächlich schwierig zu entscheidende Frage, nämlich die, ob ein Referent hier auftreten darf, der in der „Jungen Freiheit“ und anderen Medien der Neuen Rechten publiziert hat, ohne eine sogenannte Querfrontpolitik zu vertreten. Obwohl Brandt im letzten Jahr schon einmal als Referent der VVN-BdA eingeladen gewesen war, und die bisherige Praxis der Stiftung darin bestand, sich in der Diskussion mit solchen Referenten zu positionieren, werden wir diese Frage im Kuratorium neu diskutieren müssen; Bündnispolitik muss überprüft werden und sich veränderten Entwicklungen stellen. Diesmal haben sich die Veranstalter, die eine solche Publikationspraxis strikt für sich selbst ablehnen, dafür entschieden, die Veranstaltung durchzuführen und ihr eine Erklärung vorangeschickt. (siehe Anhang)

Liebe Freund/innen, liebe Kolleg/innen,

im Haus der Demokratie und Menschenrechte ist kein Rechtsruck erfolgt, auch nicht durch eine politische Minderheit, der die Vertreter des Arbeitskreises Geschichte sozialer Bewegungen Ost West angehören sollen. Vielmehr müssen wir als Kurator/innen, Vorständler/innen der Stiftung und Nutzer/innen des Hauses gemeinsam dafür sorgen, dass nicht einzelne Organisationen sich mit ihren politischen Vorstellungen und ihrer politischen Praxis allgemein setzen und fürs ganze Haus sprechen. Das Haus der Demokratien und Menschenrechte in der Greifswalder Straße 4 mit über 60 Nutzer/innen und dem Spektrum, das von Memorial, Amnesty International Bezirk Berlin Brandenburg, dem Entwicklungspolitischen Ratschlag bis eben zur Redaktion des Telegraph reicht, ist ein kleines politisches Wunder; diese Vielfalt und Breite gibt es in Berlin nicht ein zweites Mal. Wer keine Freude an dieser Vielfalt hat und keinen Stolz auf seine Bündnisfähigkeit kennt, ist bei diesem Projekt fehl am Platz.

Renate Hürtgen, Berlin, 24. 05. 2015

Bernd Gehrke, AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West

28.05.2015

Liebe Freund/innen und Genoss/innen,

vor einer Woche habe ich an eine Kollegin aus der linken Historiker/innen-Zunft einen Brief zum Auftritt von Peter Brandt in unserer AK-Veranstaltung geschrieben, der einige Aspekte enthält, die so nicht im Offenen Brief von Renate Hürtgen zu diesen Ereignissen angesprochen wurden. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, diesen Brief in leicht modifizierter Form, z.B. gekürzt um Details der Auseinandersetzung mit dem Telegraph im Haus der Demokratie und Menschenrechte, zu veröffentlichen.

Mit solidarischen Grüßen

Bernd Gehrke

Wir waren und sind keine Plattform für die Neue Rechte

Brief an eine Kollegin zu unserer Veranstaltung mit Peter Brandt am 15. Mai 2015

Liebe C.,

wir bereiten als AK gerade eine Stellungnahme für die Allgemeinheit über unsere Veranstaltung am 15. Mai 2015 vor, bis dahin aber eine Zwischeninfo, damit uns Dein und Euer Ohr noch geneigt bleibt. Renate hat ja inzwischen einen Offenen Brief zu einigen Aspekten geschrieben, die das Haus der Demokratie und Menschenrechte betreffen.1. Wir sind – und das betrifft vor allem mich als hauptverantwortlichen Organisator dieser Veranstaltung – mehr in diesen Konflikt, wie er sich jetzt entwickelt hat, hinein gestolpert, als dass wir ihn von Anfang an gesucht hätten. Obgleich dies alles nicht das Thema unserer Veranstaltung war, hatte ich als Einlader Peter Brandts mit inhaltlichen Bedenken gegen seine Vorstellungen hinsichtlich „Linke und Nation“ natürlich gerechnet, auch in der Art, wie Du sie formuliert hattest. Das auch schon deshalb, weil ich selbst etliche Kritikpunkte an seinen diesbezüglichen Vorstellungen habe, wenn auch anderer Art als Du. Doch hatten wir ihn ja nicht wegen seiner Auffassungen zum Thema „Linke und Nation“ eingeladen, sondern wegen seiner Beiträge zur Wiederauferstehung und zur Entwicklung der Arbeiter/innenbewegung in Deutschland und Europa 1945 und danach.

Die meisten Kritiker/innen von ihm wissen nicht einmal und interessieren sich auch nicht dafür, dass maßgeblich durch seine Arbeiten die Antifa-Ausschüsse 1945 in Deutschland überhaupt erst für die Forschung und die Linke wieder entdeckt wurden und maßgeblich zur Forschung darüber in BRD und DDR beigetragen haben. Ein Schlüsselband, den er angeregt hatte und in dem viele noch heute bekannte Historiker/innen vertreten waren hieß „Arbeiterinitiative 1945.“ Arbeiten wie etwa Suckuts Darstellung der Betriebsrätebewegung in der SBZ, Arbeiten Lutz Niethammers oder als Kontroverse auch die materialreiche Untersuchung von Harold Hurwitz über Demokratie und Antikommunismus in Berlin seien beispielsweise genannt.

Im Unterschied zu vielen anderen von damals steht Peter Brandt jedoch noch heute für den („demokratischen“) Sozialismus, wofür auch seine letzten gesellschaftspolitischen Artikel sprechen, die für mich eine der Grundlagen seiner Einladung waren. So etwa der Ende 2013 in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlichte gemeinsame Artikel mit den Brüdern Brie und Frieder O. Wolf über die Wiederbelebung eines neuen linken Projekts, in dem für ein solidarisches Europa plädiert wird (vgl. https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/november/fuer-ein-voellig-neues-crossover).

Eben deshalb war Peter Brandt ja für uns interessant, eben deshalb hatten wir zum Thema auch eine ausgesprochen interessante Veranstaltung, in der er über „Antikapitalistische Perspektiven 1945 und die verhinderte Neuordnung in Westeuropa und Westdeutschland“ sprach.

Gerade weil wir vom AK vor Jahren einen Auftritt von Bernd Rabehl verhinderten, der damals bereits in den Kommunikationsstrukturen der Neuen Rechten fest verankert war und seine „nationalrevolutionäre Uminterpretation“ von Rudi Dutschke und der APO feil bot, also sowohl formal wie inhaltlich in der Neuen Rechten gelandet war, sind wir sehr empfindlich, was die Neue Rechte angeht. Außerdem sind wir strikte Gegner/innen jeder Querfront. Ich weiß nicht, ob Du darüber informiert bist, dass die öffentliche Mobilisierung gegen PEGIDA maßgeblich auch von uns ausging.

Deshalb hat mich nicht Deine inhaltliche Kritik an Brandt erschreckt, sondern der Hinweis auf Brandts Interview in der Jungen Freiheit. Zwei Tage nach Deiner Mail erhielt ich dann aus dem Umfeld des Telegraph eine persönlich gehaltene Mail mit dem Link zum Artikel von Niklas Meyer in der Jungle World. Der antideutsche Unsinn, der Brandt als „linken Patrioten“ titelte, ihn substanziell aber zum rechten, also völkisch-nationalistischen „Nationalrevolutionär“ abstempelte, war dabei für mich auch nicht entscheidend. Doch die Darstellung seiner Kommunikation mit der Neuen Rechten hat natürlich mich und uns sehr erschreckt. Beides zusammen, Deine Mail und der Artikel, hatte dazu geführt, dass wir nun noch einmal intensiv prüften, ob wir die Veranstaltung mit ihm stattfinden lassen sollten. Wir haben deshalb nicht nur im Internet nach den Inhalten von Brandts Kommunikation mit der Neuen Rechten sowie seiner sonstigen gesellschaftspolitischen Vorstellungen recherchierten, sondern auch mit Kolleg/innen in seinem Umfeld sowie mit ihm selbst gesprochen.

Obwohl wir diese Kommunikation mit der Rechten weder verstehen noch akzeptieren, sind wir dennoch zum Gesamturteil gekommen, dass Peter Brandt weder inhaltlich, noch in seiner Kommunikationspraxis zum Teil der Neuen Rechten geworden ist.

Dabei spielten für uns auch zwei Vorgänge eine wichtige Rolle, die für die Entscheidung, an der Einladung Brandts fest zu halten, eine wichtige Rolle: Zum einen war Peter Brandt als Referent mit einem Thema zum antifaschistischen Widerstand bei der VVN-BdA bereits im Sommer letzten Jahres im Haus der Demokratie und Menschenrechte aufgetreten, ähnlich ebenso bei der RLS. Also eben nicht mit „Querfrontthemen“ o.ä.

Zum anderen aber hatten wir die erschreckende Tatsache recherchiert, dass die „halbe SPD“ inzwischen der Jungen Freiheit Interviews gegeben hat, angefangen von Egon Bahr oder dem verstorbenen SPD-Oberintellektuellen Peter Glotz. Peter Brandt war damit für uns Teil eines allgemeineren Problems geworden. Nun können wir gern über die SPD und dieses Verhalten ihrer Granden diskutieren, aber dass sie aus dem Haus der Demokratie und Menschenrechte als Diskussionspartner/innen deshalb ausgesperrt werden, wäre ein Unding. Das Haus in seiner politischen Breite ohnehin, aber auch unser AK, der sich als Teil der internationalistischen Bewegungslinken versteht, ist kein Sektiererklub. Für uns und das Haus ist der Auftritt von Neuen Rechten und Faschisten das No-Go, nicht die Idiotien von anderen ihnen gegenüber. Das muss in Grenzfällen natürlich individuell ausgelotet und entschieden werden. Sarazin ist schließlich Rassist, trotz SPD-Mitgliedschaft und ein völlig anderer Fall als Peter Brandt. Aber die Maßstäbe linksradikaler Sektierer/innen können für uns kein Kriterium sein.

Aus diesem Gründen haben wir nach der erneuten Prüfung entschieden, dass wir bei der Einladung an Peter Brandt bleiben. Wir beschlossen jedoch am Beginn der Veranstaltung eine Erklärung zu verlesen und eine Viertelstunde für Fragen an Peter Brandt und uns einräumen. Dem hatte auch Peter Brandt zugestimmt, dem wir unser Verfahren vorher mitteilten. Anschließend sollte die Veranstaltung wie geplant stattfinden. Und genau so war auch der tatsächliche Veranstaltungsablauf.

Dietmar Wolf als Redakteur des Telegraph verteilte am Veranstaltungsabend eine Erklärung am Eingang, die dann am nächsten Tag als Presseerklärung breit gestreut wurde. Auf unsere Erklärung zur Entscheidung für den Auftritt Brandts wurde dabei mit keiner Silbe eingegangen. Peinlicher noch: Nachdem Renate Hürtgen als Moderatorin unsere Erklärung verlesen und den Anwesenden die Möglichkeit von Fragen eingeräumt hatte, verließ Dietmar Wolf still schweigend den Raum. Sonstige Kritiker/innen des Auftritts von Brandt waren ohnehin nicht anwesend. Obgleich etliche Linke und Linksradikale im Publikum saßen, stieß unsere Erklärung auf Zustimmung, wie auch unsere Nachfragen nach der Veranstaltung ergaben. Lediglich eine Frau befragte Peter Brandt nach den Gründen seines Interviews für die Junge Freiheit. So begann nach 10 Minuten unsere Veranstaltung, verlief planmäßig und brachte eine interessante Diskussion zustande. Umso übler die Art und Weise der denunziatorischen Attacke der Redaktion des Telegraph, die am nächsten Tag als Presseerklärung veröffentlicht wurde.

  1. Bei genauem Lesen der Erklärung des Telegraph wird deutlich, dass die Behauptung, dass Peter Brandt ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ sei, ohne jede Begründung bleibt. Die Erklärung dient lediglich der Denunziation und einem Kampf unter der Gürtellinie. Das wird daran deutlich, dass der Auftritt Peter Brandts in einen Kontext der „Denunziation des Tags der Befreiung“ durch „eine Minderheit“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte gestellt wird, was sich vor allem gegen Personen aus dem Umfeld des Vorstandes der Stiftung und Renate Hürtgen richtet, die seit einiger Zeit als Kuratorin in der Stiftung tätig ist. Denn der Telegraph hatte seit Jahren versucht, sein sektiererisches und auf ein einseitiges und unkritisches Feiern des „Sieges der Roten Armee“ orientiertes Befreiungsfest am 8. Mai als Feier des gesamten Hauses durchzusetzen. Renate ist ja in ihrem Offenen Brief auf Details eingegangen …

Die denunziatorische Art der Kritik, die Peter Brandt in den Kontext der konservativen Revolution und der „linksfaschistischen“ Nationalrevolutionäre stellt und uns unausgesprochen, aber faktisch, zu Steigbügelhaltern der Neuen Rechten macht, dient ausschließlich instrumentellen Zwecken der Auseinandersetzung im Haus. Das wird daran auch deutlich, dass der Telegraph kein Wort der Kritik äußerte, als Peter Brandt vor einem dreiviertel Jahr bei der VVN-BdA im Haus auftrat. Und diese Veranstaltung ist ihnen ganz bestimmt nicht entgangen.

Zudem wird in der Erklärung gegen unsere Veranstaltung erkennbar, dass die Telegraph-Leute gegen den Auftritt Peter Brandts nicht nur „als Antifaschisten“ protestierten, sondern auch als gegen alle „Rechts- und Linksnationale“ eingestellte Leute. Kurzum: „Antinationale“ wollen anderen Antifaschist/innen gegenüber sich zu Ajatollas und Zensoren aufspielen, um zu bestimmen. wer eingeladen werden darf und wer nicht.

Obwohl wir die Auseinandersetzung nicht gesucht haben, werden wir sie aber annehmen und wie stets, offen und transparent damit umgehen. Es geht sowohl um das Haus der Demokratie und Menschenrechte, welches ein nahezu einmaliges Bündnisprojekt von linksliberal bis linksradikal darstellt und die Möglichkeit für antikapitalistische Linke bietet, mit der gesamten Breite von Demokratie- und Menschenrechtsthemen „in die Mitte der Gesellschaft“ hinein zu wirken. Es geht aber auch um die Linke und um den Antifaschismus insgesamt, darum, ob „Antinationale“ sich zu Ajatollas des Antifaschismus aufspielen dürfen, aber auch darum, ob antinationale Phobien und Tabus antifaschistische und internationalistische Analyse und Politik kontrollieren und ersetzen sollen. Immerhin verstand sich das Gros des antifaschistischen Widerstands in Deutschland, und der kam vor allem aus der Arbeiterbewegung, als das Andere oder das Bessere Deutschland. Und das ist auch der Bezug, in den Peter Brandt gehört, auch dann, wenn er für Grenzüberschreitungen des Internationalismus und unzulässige Zugeständnisse an die Neue Rechte in Gestalt seiner Kommunikation mit ihnen unbedingt kritisiert werden muss.

Ich denke, gerade angesichts des Vormarsches des Rechtspopulismus in Europa oder beispielsweise auch des Konfliktes in der Ukraine brauchen wir keine Tabus in punkto „Nationales“, sondern kritische und internationalistische Analyse und Debatte.

Als P.S. hänge ich noch unsere „Erklärung der Veranstalter/innen“, die Ankündigung von Brandts Auftritt bei der VVN-BdA im letzten Sommer sowie einen Auszug von Peter Brandt an, der seine Grundeinstellung zur Nation charakterisiert und der deutlich macht, dass er – bei aller notwendigen Kritik – natürlich keinesfalls in den Umkreis der Nationalrevolutionäre gehört. Für konservative Revolutionäre und Nationalrevolutionäre ist ja die Nation der Kern und Ausgangspunkt aller anderen Bezugssysteme, für ihn ist es die Emanzipation der subalternen Klassen.

Mit solidarischen Grüßen

Bernd

23.05.2015

1.

Erklärung zur Veranstaltung am 15. Mai 2015

(siehe oben!)

2.

 

Der vergessene Arbeiterwiderstand. Vor 70 Jahren trafen sich Vertreter von KPD und SPD am Vorabend des 20. Juli 1944

  1. Juni 2014

Montag, 23. Juni 2014, 19 Uhr, Haus der Demokratie und Menschenrechte (Robert-Havemann-Saal),
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin

Nach einer historischen Einführung durch die Historikerinnen Dr. Bärbel Schindler-Saefkow und Dr. Annette Neumann diskutieren:

  • Peter Brandt, Fernuniversität Hagen, Historische Kommission der SPD
  • Stefan Heinz, Forschungsstelle Nationale und Internationale
  • Gewerkschaftspolitik der Freien Universität Berlin
  • Klaus Lederer, Landesvorsitzender DIE LINKE Berlin
  • Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin
  • Daniel Wucherpfennig, DGB Berlin-Brandenburg

Moderation: Dr. Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA e. V.

Das Treffen in der Köpenickerstraße
Am 22. Juni 1944 trafen sich die Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob mit den Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein bei dem Arzt Rudolf Schmid in der Köpenicker Straße in Berlin. Zum ersten Mal loteten Vertreter der Arbeiterparteien Gemeinsamkeiten aus und überwanden Bedenken.Für den Sturz Hitlers sollten möglichst viele Gegner des Naziregimes mit unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Anschauungen einbezogen werden. Diese Ansicht teilte auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der das misslungene Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 verübte und an entscheidender Position an der daran anschließenden „Operation Walküre“ beteiligt war, dem Versuch eines Staatsstreiches. Stauffenberg wusste um Lebers Kontakte zu den Kommunisten.

Am 22. Juni 1944 wurde erörtert: Freie Demokratie? Ja. Privateigentum? Ja. Konzerne und Großkapital ausgenommen. Dies hielt Rudolf Schmid fest, der die Begegnung als angenehm in Erinnerung behielt: Man wollte sich verstehen, man hatte eine gemeinsame Aufgabe, von der verschiedene Auffassungen nicht ablenken durften.

Die wohl schon länger geplante und nur wenige Wochen vor dem 20. Juli anberaumte Begegnung deutet auf einen Paradigmenwechsel in den schwierigen Beziehungen der beiden Arbeiterparteien hin. Jacob, Leber, Reichwein und Saefkow waren trotz mancher Bedenken aus den eigenen Reihen über die Schatten der Vergangenheit gesprungen. Obgleich gegensätzliche Positionen bestehen blieben, traten diese in den Hintergrund. Die Gesprächspartner verabredeten in 14 Tagen ein nächstes Treffen. Dazu kam es nicht. Stattdessen kam es aufgrund von Verrat zu zahlreichen Festnahmen.

Zur Diskussion:

  • Worin besteht die historische Bedeutung des Treffens im Vorfeld des 20. Juli 1944?
  • Woran liegt es, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der umfangreiche Arbeiterwiderstand – im Gegensatz zum bürgerlichen und militärischen Widerstand – kaum thematisiert wird?
  • Braucht es einen Gedenktag für den politischen Widerstand und ein Denkmal für den Arbeiterwiderstand?
  • Wie kann Geschichte von Widerstand und Verfolgung mit Fragen im Hier und Heute verbunden werden, z. B. im Hinblick auf rassistische Vorurteile und Verhaltensweisen und Neonazismus?
  • Losgelöst von historischen Kontexten wird bei der Neubewertung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts eine Kontinuität politischer Verfolgung im Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert beschworen. Wie kann Versuchen begegnet werden, verschiedene Erinnerungskulturen in Europa aus ihrem historischen Kontext zu lösen und sie „antitotalitär“ zu vereinen?

Veranstalterinnen: Berliner VVN-BdA e.V., Initiative zur Erinnerung an den Arbeiterwiderstand, Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte
Infos: http://www.hausderdemokratie.de/artikel/programm.php4

3.

Karlen Vesper: Interview mit Peter Brandt (2003 in ND) (Auszug – B.G.)

  1. Haben die Deutschen ein gespaltenes Nationalgefühl? Sie haben sich immer wieder mit dem Phänomen Nation – vor allem Nation und Linke – befasst. Können je und dürfen überhaupt die Deutschen angesichts ihrer Geschichte zu einer ganz normalen selbstbewussten Nation werden? Und warum kommt es immer wieder zu solchen »Peinlichkeiten« wie erst wieder dieser Tage (Rede des CDU-Abgeordneten H.)?Ich möchte zunächst einmal Wert darauf legen, und das ist keine Spitzfindigkeit, zwischen Nationalgefühl und Nationalbewusstsein zu unterscheiden, auch wenn ich einräume, dass die Grenze in der Realität fließend ist. Mein Anliegen ist es nicht, die Deutschen zu einer »normalen, selbstbewussten Nation« zu erziehen, sondern das kritische Bewusstsein der Bedeutung des Nationalen (auch im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung) zu fordern. Dazu gehören die Schrecken der Nazi-Vergangenheit, aber man kann und darf die deutsche Identität nicht darauf reduzieren, sondern sollte auch positive Identifikationsangebote machen, die ja nicht an den Haaren herbeigezogen zu werden brauchen. Muss man das früheren Bürgern der DDR erklären, die sich damit bei aller vordergründigen Legitimierungsabsicht immerhin einige Mühe gab und deren Historiker und Gesellschaftswissenschaftler mit der Unterscheidung Erbe / Tradition etwas dafür sehr Nützliches getan haben? – Zum Abgeordneten Hohmann könnte man sehr viel sagen. Die Rede ist abstrus und in der Tat peinlich. Wie dann öffentlich über den Vorgang berichtet und diskutiert (besser gesagt: nicht diskutiert) wurde, ist bezeichnend für den ziemlich neurotischen Umgang unseres Landes und speziell der heute bestimmenden (westdeutsch sozialisierten) Führungsschicht in Politik und Medien mit dem gesamten Komplex Nation / jüngste Vergangenheit / Erinnerungskultur. Ich würde es begrüßen, wenn wenigstens die unsägliche Rede vom »deutschen Tätervolk« nicht mehr gedankenlos weitergetragen würde.Quelle: http://www.globkult.de/selbstauskunft/450-karlen-vesper-interview-mit-peter-brandt-2003

gekürzt in: Neues Deutschland vom 27.12.2003

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