von Bernd Gehrke und Renate Hürtgen, 30. Oktober 2012

Wer die Jahrzehnte währende politische Stabilität der DDR-Gesellschaft ebenso vor Augen hat wie die Bilder der prägenden Gestalten der kirchlichen Friedensbewegung in den 1980er Jahren, wer schließlich an die Menschen auf den Tribünen, Podien oder an den Runden Tischen in der Zeit des Umbruchs von 1989 und 1990 denkt, die stark von Künstler/innen und Pfarrer/innen geprägt wurden, fragt vielleicht, weshalb es lohnt, sich überhaupt mit den Betrieben und ihren Belegschaften in der DDR zu beschäftigen. Im Gegensatz etwa zu Polen, standen diese weder Jahrzehnte vor noch in der Zeit des demokratischen Aufbruchs 1989 selbst im Zentrum der offenen Konflikte. Wer allerdings auf die für alle zeitgenössischen Beobachter/innen überraschende Geschwindigkeit der Abläufe sowie das Ausmaß der Demokratiebewegung im Herbst 1989 blickt, wird sich damit beschäftigen müssen, wer die vielen Menschen waren und was sie bewegte, als sie im Herbst 1989 die Kirchen, die Straßen und die Plätze füllten, die aus den Aufrufen zur Demonstration seitens der bis dato kleinen Opposition erst wirkliche und wahrhaftige Massendemonstrationen machten. Wer so fragt, fragt nach „der Straße“, nicht nach den Tribünen, fragt nach jener „Straße“, die den Sturz des alten, des SED-Regimes erzwang. Erst wer so fragt, fragt auch nach den tatsächlich bewegenden Kräften und nach der Dynamik des revolutionär-demokratischen Aufbruchs, der schließlich das Gros der Gesellschaft erfasste. Es ist damit auch die Frage nach den gesellschaftlichen Potenzialen einer demokratischen Revolution gestellt, die eine Einparteiendiktatur mit ihrem polizeistaatlich gestützten und geschützten Herrschaftsapparat stürzte und demokratische Freiheiten buchstäblich auf der Straße erkämpfte. Eben diese „Straße“ war es, die gegen jedes Zögern, Zaudern und sich Wenden der Obrigkeit oder von Teilen der Opposition immer wieder die Entwicklung vorwärts trieb und eine diktatorische Obrigkeit absetzte. Sie setzte eine Obrigkeit ab, die zwar, ohne zu schießen, abtrat, aber nicht freiwillig, sondern weil sie von „der Straße“ dazu gezwungen wurde, die alle ihre Manöver durchkreuzte, mit denen sie an der Macht zu bleiben hoffte. Weil es die „Straße“ war, die eine Einparteiendiktatur und ihren Polizeistaat überwandt und demokratische Rechte erkämpfte, sprechen wir auch von einer Revolution, einer demokratischen Revolution.