Am 8. Mai 2025 jährt sich der Sieg der Alliierten über das faschistische Deutschland zum achtzigsten Mal. Ein bestialisches Regime wurde vernichtet und ein Krieg mit 60 Millionen Toten beendet. Mit dem 8. Mai 1945 sind neben der Freude über die Befreiung vom Faschismus und über das Kriegsende unter Befreiten wie Befreienden jedoch zugleich die unterschiedlichsten, auch gegensätzlichen historischen Erfahrungen, Sichtweisen und Gefühle verbunden. Denn „der Tag der Befreiung“ wurde zugleich zum Auftakt der Errichtung einer neuen Weltordnung imperialistischer Blöcke – und damit der Teilung Europas unter dem Regime von Jalta. Westliche Siegermächte wie England und Frankreich versuchten sofort nach dem Sieg über Hitler-Deutschland, ihre Kolonialreiche wieder unter ihre Kontrolle zu bringen und setzten alles daran, alte Einflussgebiete auch mit Kriegen zu erhalten. Und die USA machten in der Pax Americana nicht nur Westeuropa zu ihrem Satelliten.
Für die Länder Osteuropas, die der sowjetischen Militärmacht zufielen, war es der Auftakt zu neuen Diktaturen, die die kurze Zeit der Freiheit nach dem Ende der Nazi-Herrschaft mit brutalen Mitteln beendeten. Viele derjenigen, die für die Befreiung vom Faschismus gekämpft hatten, sahen sich in Osteuropa wie in Ostdeutschland (und auch in Westeuropa oder in den USA unter McCarthy) bald um ihre Hoffnungen auf ein sozialistisches und demokratisches Land betrogen – oder sie waren gar selbst wieder neuer Verfolgung und Terror ausgesetzt. Ende von faschistischem Grauen und Krieg, Befreiung, Aufbruch und Leid bei der Durchsetzung einer neuen Herrschaft der Supermächte stehen also gleichermaßen für den 8. Mai 1945.
Trotz dieser widersprüchlichen Wirkungen des 8. Mai 1945 steht jedoch besonders für die deutsche Linke der 8. Mai für die Befreiung. Denn innerhalb Deutschlands, das den faschistischen Furor über die Welt brachte, das Land, welches die Völkermorde an den Juden Europas, an den Sinti und Roma ebenso zu verantworten hatte wie die mörderische „Germanisierung“ Polens und den völkermörderischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, bedeutete das Ende des Nazi-Regimes vor allem die Befreiung aller Häftlinge der Konzentrationslager und Zuchthäuser, der Millionen von Zwangsarbeiter-Sklaven sowie der illegalen Antifaschisten. In den Konzentrationslagern und Zuchthäusern waren bereits seit 1933 deutsche Antifaschisten gefangen, gequält und ermordet worden. Dies bleibt auch für aktuelle Faschisierungsentwicklungen festzuhalten: Die Zerschlagung und Ermordung der deutschen Linken war die Voraussetzung für all jene Verbrechen des faschistischen Deutschlands an den anderen Völkern. Auch deshalb war und ist der 8. Mai ein Tag der Befreiung für Deutschland. Und das gilt erst recht, weil das reaktionäre Deutschland bis heute die faschistischen Verbrechen leugnet oder verharmlost.
Auch wenn der Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 nicht der Tag der sozialistischen Freiheit war, den sich gerade die Linken in Ost- wie Westeuropa erhofft hatten: Zumindest in Deutschland und Europa wurde die Systemkonkurrenz zwischen den imperialistischen Blöcken auch eine Konkurrenz um soziale und demokratische Werte, die Folgen für die praktische Politik auf allen Seiten hatte. Obzwar gespalten durch die Blockkonfrontation, die mitten durch Deutschland ging, profitierten andererseits gerade die Deutschen auf beiden Seiten von der Systemkonkurrenz: So wurde den Ostdeutschen jene massiven stalinistischen Terrorkampagnen erspart, die die anderen osteuropäischen Satellitenstaaten nach 1945 erleiden mussten. Und in Westdeutschland saß bei allen Lohnverhandlungen stets die DDR als heimlicher Verhandlungspartner mit am Tisch, der das Kapital zu Kompromissen mit der Lohnarbeit zwang, damit es nicht zu offenen und brutalen Klassenkämpfen kommen würde, die eine Chance für die Kommunisten bilden könnten. Dem entsprechend stiegen die Löhne und Sozialleistungen auch ohne jene massiven Streiks wie in Frankreich oder Italien.
Global gesehen war die Nachkriegsordnung von Jalta in Europa untrennbar verbunden mit der Gründung der UNO und der Installierung eines auf Multilateralismus und Gewaltverzicht beruhenden Systems des Völkerrechts sowie der Menschenrechte. Dazu gehörte von Seiten der beiden neuen Supermächte USA und Sowjetunion die Möglichkeit und selektive Unterstützung des Kampfes der Kolonialvölker gegen die alten Kolonialreiche Großbritanniens und Frankreichs. Die UNO-Charta und die Menschenrechte waren als Lehre aus zwei Weltkriegen und den Bestialitäten des deutschen Faschismus verankert und allgemein anerkannt.
Doch die Existenz der imperialistischen Blöcke und neuer postkolonialer imperialistischer Herrschaftsverhältnisse hat immer wieder zu deren Verletzung geführt. Exemplarisch stehen der Vietnamkrieg seitens der USA oder die Okkupation der Tschechoslowakei 1968 seitens der Sowjetunion für die vielfältigen Brüche dieser Regeln durch die imperialistischen Mächte. Die Antikriegs- und Menschenrechtsbewegungen mit ihren Anklagen der Verletzung der UNO-Regeln und die Lügen der jeweils Herrschenden zeugen jedoch von der zivilisierenden Wirkung dieser historisch erkämpften Rechte.
Ohne die UNO-Charta und die UNO-Menschenrechte wäre es 1975 nicht zum Abschlussdokument der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gekommen, das heute ein Vorbild für eine antagonistische Friedenslösung in vielen Konfliktregionen der Welt sein könnte. Ebenso wenig hätte es die Oppositionen in den Ländern des Ostblocks oder die Friedensbewegung in Westeuropa in den 1980er Jahren gegeben, die wesentlich zur Überwindung des Regimes von Jalta beitrugen.
Heute stehen wir in einem tiefen Umbruchsprozess der globalen Machtverhältnisse. In nicht einmal 30 Jahren globaler Hegemonie der USA nach dem Untergang der Sowjetunion zeigte sich, dass ihre Macht „überdehnt“ war und ihre Kriege um Vorherrschaft nur zerstörte Länder im Nahen und mittleren Osten hinterließen. Sie brachten den Verlust der US-Hegemonie signifikant zum Ausdruck und wurden zum Signal für das Putin-Regime zum Angriff auf die Ukraine und die Europäische Friedensordnung.
Es scheint derzeit, als ob Putins erhoffte multipolare Weltordnung, dank des faschistoiden US-Präsidenten Donald Trump, nun schneller an die Stelle jener multilateralen Ordnung treten wird, die in der UNO-Charta verankert ist. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat unlängst auch der Außenminister der VR China von einer multipolaren Weltordnung gesprochen, obwohl die VR China bisher stets den Multilateralismus in den internationalen Beziehungen betonte.
Aus meiner Sicht muss es auf diese Herausforderungen im Sinne einer emanzipatorischen sozialistischen Linken in Deutschland folgende Antworten geben:
- Oberste Priorität müssen angesichts des global vorhandenen Nationalismus Idee und Praxis des Internationalismus haben. Das bedeutet, in allen Ländern vor allem die internationalistische Linke zu unterstützen und, soweit möglich, zusammenzuführen.
- Eine emanzipatorische Linke muss die nach dem Zweiten Weltkrieg bei und mit der UNO-Gründung allgemein anerkannten Regeln als Minimal-Forderungen an jede Art von Politik einklagen. Dabei sollen keinesfalls die Verletzungen dieser Regeln durch irgendeine Macht verleugnet, sondern im Gegenteil aufgeklärt und angeprangert werden.
- Ohne die globalen Kontakte und Beziehungen entlang von Wertschöpfungsketten zu vernachlässigen, sollte sich die emanzipatorische Linke in Europa darauf fokussieren, ein anderes, radikal demokratisches, soziales und ökologisches Europa an Stelle der heutigen neoliberalen EU zu schaffen. Das wäre ein Europa, welches in der Lage wäre eine gesellschaftliche Alternative und einen entschiedenen Gegenpol zu den nationalistischen und imperialistischen neuen und alten Großmächten zu bilden.
- Angesichts der globalen Bedrohung demokratischer und sozialer Freiheiten entsprechend der UNO-Menschenrechts-Konvention und der Standards der ILO durch innere wie äußere Feinde demokratischer Staaten, kann eine solche Alternative allerdings nur existieren, wenn sie wehrhaft und verteidigungsfähig nach innen wie nach außen ist. Welche Bedeutung das für die gegenwärtige emanzipatorische Linke in Europa hat, darüber muss endlich eine ernsthafte Debatte im Geist eines emanzipatorischen Sozialismus über eine eigenständige Militärpolitik beginnen, die sowohl die Mächte der inneren wie der äußeren Bedrohung von Freiheit, Demokratie und sozialen Errungenschaften ernst nimmt.
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Brandenburger Tor sagt Dziekuje-Djakuju-Dzjakuj-Spasibo: Twitter.com/RegBerlin; https://censor.net/ru/photonews/3194566/berlin_na_raznyh_yazykah_v_tom_chisle_ukrainskom_poblagodaril_soyuznikov_za_osvobojdenie_evropy_ot_natsionalsotsializma
Sowjetsoldaten vor Brandenburger Tor: https://bankokbook.ru/galerya/berlin-9-maya-1945-81-foto.html
Churchill, Roosevelt, Stalin in Jalta: U. S. Signal Corps – Library of Congress, Franklin D. Roosevelt Library & Museum, http://docs.fdrlibrary.marxists.edu/images/photodb/09-1905a.gif