von Bernd Gehrke, 15. Juni 2023
Am 24. Juni 2023 jährt sich der Geburtstag von Gerulf Panach zum 75. mal. Am 3. Mai diesen Jahres war bereits der 25. Todestag des 1948 geborenen linken Liedermachers und Rockpoeten, der 1977 aus dem Knast in der DDR in den Westen abgeschoben worden war. Er starb mit nur 49 Jahren. So, wie auch der Intellektuelle Rudolf Bahro oder der Schriftsteller Jürgen Fuchs, die ebenfalls aus dem DDR-Knast in den Westen gepresst worden waren, starb er viel zu früh an Krebs. Als in den 1990er Jahren in ehemaligen DDR-Knästen Röntgengeräte entdeckt wurden, kam der Verdacht auf, dass Oppositionelle im Knast gezielt bestrahlt worden waren. Doch konnten trotz systematischer Nachforschungen dafür nie Belege gefunden werden. Eigenartig bleibt dennoch die Häufung dieser Krebsfälle bei den inhaftierten Oppositionellen.
An seinem 25. Todestag erinnerte bereits eine Veranstaltung im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte an den heute weithin Vergessenen. Sie wurde vom AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West, der Berliner Geschichtswerkstatt und der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte durchgeführt. In Wortbeiträgen zu Pannachs Biografie, zu seiner Diskografie und zu seiner historischen Bedeutung für die DDR-Opposition, aber auch in lebensgeschichtlich angelegten Interviews mit seinem Freund und Kollegen Salli Sallmann wurden sein Leben und seine Texte vorgestellt. Mit O-Tönen, dem Gesang seiner Lieder durch Salli Sallman und den Kabarettisten Gerald Wolf und der Lesung nicht vertonter, wenig bekannter Texte durch die Performerin Anna Stiede wurde sein Werk dem Publikum nahe gebracht. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch die Wiedergabe einer faszinierenden Aufnahme des Pannach-Renft-Songs „Zwischen Liebe und Zorn“ mit großem Orchester.[i] Es gelang, die Aktualität eines Künstlers vorzustellen, der sich an den Verhältnissen in Ost wie in West gerieben hatte und der bis zum Ende seines Lebens den Idealen einer egalitären Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung verbunden blieb. Anders, als der von Ostalgiker:innen bis heute verehrte Gundermann, der sich von seiner Verbandelung mit der DDR-Obrigkeit und ihrer Singebewegung nie gelöst, geschweige denn, ein kritisches Verhältnis zu seiner Stasi-Spitzelei entwickelt hatte, saß Pannach nicht nur im Osten, sondern später auch im Westen oft zwischen den Stühlen. Gerade auch „zwischen den Stühlen der Linken“, weil er sich den von vielen Westlinken reproduzierten Kalte-Kriegs-Logiken der Herrschenden in Ost und West verweigerte. Allerdings erscheinen bei Pannach, wie später auch bei Gundermann, immer wieder in ihren Texten die plebejische Welt der Arbeitenden auf. Das unterscheidet beide von anderen Lieder- und Rockmacher:innen nicht nur in der DDR.
Der 75. Geburtstag Gerulf Pannachs ist Anlass genug, den namentlich unter jüngeren Linken weithin Unbekannten vorzustellen. Denn insbesondere für jene emanzipatorische Linke von heute, die sich an den Verhältnissen des aktuellen Katastrophen-Kapitalismus reibt, ohne sich der Verklärung der falschen Alternative eines despotischen und fossil-industrialistischen Pseudosozialismus á la DDR und Ostblock hinzugeben, können die Songs und Texte des Gerulf Pannach poetische Lust auf eine Welt machen, in der der egalitäre und freiheitliche Geist der Pariser Commune Herz und Verstand ergriffen hat.
DDR-Achtundsechziger oder: Warte nicht auf bessre Zeiten
Gerulf Pannach gehörte zu jener Generation von linken Künstler:innen, die, in der DDR aufgewachsen, die bestehende Kluft zwischen dem vom Parteistaat behaupteten emanzipatorisch-sozialistischen Anspruch einerseits und der totalitär-diktatorischen Realität andererseits mit Hilfe ihrer Kunst zu überwinden hofften. Dabei war der Einfluss der Ideen der westlichen Jugendrevolte und der Neuen Linken in den 1960er Jahren ebenso unverkennbar wie der des damals so genannten Reformkommunismus im Ostblock, der innerhalb der DDR vor allem von Robert Havemann und Wolf Biermann repräsentiert wurde. In Osteuropa stand und steht dafür vor allem der Prager Frühling. Bei kritischen Linken in der DDR verband das Jahr 1968 deshalb beide Entwicklungen gleichermaßen, jene in West und in Ost. Mit zwei Liedern hatte das der oppositionell-kommunistische Barde Wolf Biermann 1968 am prononciertesten zum Ausdruck gebracht. Zum einen brandmarkte er in seinem Lied Drei Kugeln auf Rudi Dutschke die Hetze der Herrschenden in Westberlin gegen Linke und Studierende als hauptverantwortlich für das Attentat auf Dutschke. Zum anderen wurde sein Lied In Prag ist Pariser Kommune, mit dem er die Demokratisierungspolitik der Kommunist:innen in der Tschechoslowakei gegen stalinistische Angriffe verteidigte, auf illegalen Flugblättern verbreitet, mit denen junge Linksoppositionelle, wie die Nachwuchskünstler:innen Thomas Brasch oder Bettina Wegener, in der DDR gegen die blutige Unterdrückung dieser Politik protestierten.[ii] Die Sowjetunion war mit Unterstützung von Verbündeten der Warschauer-Vertrags-Staaten militärisch in die Tschechoslowakei einmarschiert und hatte die reformkommunistische Führung von Staat und Kommunistischer Partei nach Moskau entführt. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die sowjetische wie die DDR-Führung den Eindruck erweckt, als seien auch DDR-Truppen in die ČSSR marschiert, was wegen des Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Tschechoslowakei im Jahre 1938 für besondere Empörung bei Oppositionellen und weit darüber hinaus sorgte. Gerulf Pannach hatte später in seinem sehr aktuell erscheinendem Song „Über den Frieden“ den sowjetischen Überfall auf die Tschechoslowakei so „besungen“:
Frieden das ist manchmal
Nur der Vorwand
Für ein großes Land
Um in kleine Länder zu marschieren
Der Text war Pannachs deutsche Fassung eines Gedichtes des antifaschistischen katalanischen Dichters Raimon. Auch einige weitere Zeilen des Liedes passen wie die Faust aufs Auge des heutigen Russlands, wenn es in einer nächsten Strophe heißt:
Frieden das ist manchmal
Doch Knechtschaft bloß[iii]
… hörte heimlich Lieder von Wolf Biermann
Der am 24. Juni 1948 in Arnsdorf bei Dresden geborene und seit dem siebten Lebensjahr in Schkeuditz bei Leipzig aufgewachsene Gerulf Pannach, war 1968 von den Entwicklungen in Ost und West gleichermaßen geprägt. Nach dem Abitur im Jahr 1967 wurde er zum Wehrdienst eingezogen. In Ostberlin, wo er den Wehrdienst bei den Grenztruppen ableisten musste, hörte er heimlich in einem Westsender erstmals Lieder von Wolf Biermann. Fasziniert von den Liedern besuchte er den vom Staat geächteten und überwachten oppositionell-kommunistischen Liedermacher in dessen Wohnung sogar in NVA-Uniform, wie Biermann sich später erinnert.[iv]
Gerulf Pannach und die DDR-Singebewegung
Nach dem Militärdienst begann Gerulf Pannach ein Jura-Studium, das er aber nach ein paar Monaten abbrach. Verstärkt wandte er sich der Musik zu. Pannach, der bereits als Jugendlicher Akkordeon und Gitarre spielte, engagierte sich im FDJ-Singeklub Leipzig, für den er auch eigene Lieder beisteuerte.[v] 1970 wurde er Referent für die Singebewegung beim Bezirkskabinett für Kulturarbeit der Stadt Leipzig. Dort versuchte er, politisch kritische musikalische Talente zu finden und zu fördern.
Die Singebewegung der FDJ war eine sehr widersprüchliche Erscheinung. Um die Widersprüche der Entwicklung Gerulf Pannachs zu verstehen, ist es wichtig einige Worte über die FDJ-Singebewegung zu verlieren. Am Anfang stand eine spontane Initiative des in der DDR lebenden kanadischen Folk-Sängers und Kommunisten Perry Friedman, der befreundet war mit Berühmtheiten der Folk- und Protestmusik wie Peete Seeger in den USA. Friedman hatte in der DDR einen Kreis singefreudiger und von der Folk-Musik inspirierterter junger Leute um sich gescharrt. Nach amerikanischem Vorbild des spontanen Singens in einem geselligen Kreis, wie es in der Folk-Bewegung verbreitet war, wurde 1966 in Ostberlin der Hootenanny-Klub gegründet. Ermöglicht durch eine kurzzeitige Liberalisierung der Jugendpolitik und aktiv unterstützt vom 1964 gegründeten Jugendradio DT 64 agierte der Hootenanny-Klub weitgehend selbstständig und erhielt großen Zulauf des Publikums bei seinen öffentlichen Singe-Veranstaltungen mit Liedern der Arbeiter:innen- und der antifaschistischen oder der aktuellen Folk-Bewegung. Doch bald schon wurden solche sich selbst organisierende Initiativen der stalinistischen Obrigkeit unheimlich, zumal, wenn sie auch noch ihr us-amerikanisches Vorbild im Namen trugen. Der Hootenany-Klub musste sich bereits im Frühjahr 1967 einen neuen Namen zulegen und wurde zum Oktoberklub – benannt nach der bolschewistischen Revolution von 1917 in Russland, deren 50. Jahrestag 1967 von der DDR offiziell gefeiert wurde. Den Führungsgremien der FDJ nun unterstellt, mutierte der Oktoberklub zum Vorzeige-Singeklub des FDJ-Zentralrats. Auf dem Pfingsttreffen der FDJ wurde 1967 mit seiner Unterstützung als zentrale Kampagne eine FDJ-Singebewegung von oben verkündet. Die sollte als Alternative zu der seit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 unterdrückten Beat-Musik sein und sich zugleich gegen den Einzug der Anglizismen in die Jugenndkultur richten.[vi]
Obgleich auf diese Weise politisch eingehegt, bot die FDJ-Singebewegung dennoch einer Vielzahl von „jungen Talenten“ Entfaltungsmöglichkeiten für eigene Kreativität, auch, weil sie ewas Neues in der Musikkultur der DDR war und gerade ästhetische Grenzen relativ offen blieben. Hinzu kam, dass auch politisch relevante Grenzen zwischen Erlaubtem und nicht Erlaubtem in künstlerischen Bildern unschärfer waren als in der Sprache der Politik.
Aus solchen Gründen stieß diese Initiative von oben auf ein breites Bedürfnis nach kultureller Selbstentfaltung und fand weite Verbreitung, namentlich unter Oberschüler:innen und Studierenden. Obgleich Sänger:innen wie zum Beispiel Bettina Wegener bereits nach der Verwandlung des Hootenanny-Klubs in den Oktoberklub mit der nunmehr staatsoffiziellen Singebewegung brachen, hatten neben Gerulf Pannach auch andere Musiker:innen, die später als kritische oder oppositionelle Sänger:innen bekannt wurden, wie Stephan Krawczyk oder Pannach-Freund Salli Sallmann, ihre künstlerischen Anfänge in der FDJ-Singebewegung. Denn neben der politische Einhegung bot sie zugleich auch den – wenn auch begrenzten – Raum für Folk und die internationale Singer-Song-Wrighter-Kultur – und in Grenzen: Selbst für politisch abweichende linke Musik, wie das seit 1970 jährlich in Ostberlin stattfindende Festival des politischen Liedes zumindest in den ersten Jahren zeigte. Als eines der größten Festivals für linke Musik traten hier weltweit berühmte linke Musiker:innen auf, die durchaus nicht alle zur politischen Welt des moskautreuen Familie des „Weltkommunismus“ gehörten. So lange nur gesungen und gespielt wurde und keine politischen Anklagen gegen diese Welt erfolgten, weshalb die Einheladenen ins Bündnis-Konzept der SED passten, konnte hier eine wirklich große Breite der internationalen Musikwelt gehört und bewundert werden, von Miriam Makeba über Mikis Theodorakis bis Mercedes Sosa waren hier Weltstars der musikalischen Linken Linken zu hören. Für die durch Mauer und staatliche Enge zwangsweise provinzialisierten jungen linken Musiker:innen der DDR boten diese Veranstaltungen ein Stück weit die Präsenz der linken Welt.
Insofern war die FDJ-Singebewegung ein Ausdruck der Modernisierung des SED-Parteistaats zwischen den altbackenen 1950er und 1960er und den 1970er und 1980er Jahren. Insofern ist es kein Wunder, dass Gerulf Pannach in dieser kulturellen Modernisierungsbewegung seinen Ausgangspunkt nahm, dessen Grenzen auslotete, um seinen eigenen Weg zu finden und andere zum Selbstbewusstsein ermutigte, indem er sang: Dein Weg bleibt dein Weg![vii]
Der Gang ins Offene
Bereits in seinen frühen Liedern und Texten wurde erkennbar, was sich bis ans Ende seines Lebens immer wieder zeigte, dass Pannach wie auch Cat Stevens oder Bob Dylan, der deshalb sogar großen Frust seiner frühen Fans zu spüren bekam, keine starren Grenzen zwischen der Kultur politischer wie lebensweltlicher Liedermacher:innen einerseits und der Rock- und Popkultur andererseits akzeptierten. Oft griff Pannach international bekannte Songs zum Beispiel der eben Genannten auf und schuf deutsche Fassungen. Diese erweiterte er indes oft mit neuen Gedanken. Das galt auch für seine deutschen Fassungen des schon erwähnten katalanischen Dichters Raimon. Ähnlich ging er aber auch mit Texten von Erich Mühsam um, wenn er, wie später in dem Song „Fluche Seele Fluche“, eigene Zeilen dem Original hinzufügte.
Mit dem Chanconklub Leipzig gründete Gerulf Pannach 1971 einen eigenen Singeklub, der aber nur kurze Zeit bestand. Gleichzeitig hatte er erste Texte für die damals noch als Leipziger Geheimtipp geltende und bald zur DDR-Kult-Band gewordene Beat/Rock-Formation Klaus Renft Combo geschrieben, die später nur noch unter Renft firmierte. 1972 wurde Pannach freischaffender Künstler, der sowohl mit eigenen Programmen als auch zusammen mit einer Tanzmusik-Band auftrat. Ein Schlüssel für seine weitere Entwicklung als Songschreiber und Songinterpret, wie er sich selbst nannte, war seine beginnende Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem zur gleichen Generation gehörenden Schriftsteller Jürgen Fuchs und mit dem älteren Wolf Biermann. Fuchs war in Jena Teil eines jungen künstlerisch und kulturpolitisch aktiven kritisch-oppositionellen Intellektuellenkreises, der maßgeblich zur Entstehung und Entwicklung einer relevanten Oppositionsszene aus jungen Arbeiter:innen und Christ:innen beitrug.[viii] Fortan kritisierte Pannach in seinen Texten und Songs immer offener die bestehenden Widersprüche und Verlogenheiten von Staat, Partei und FDJ. So schrieb er 1972 in seinem vielstrophigen Song Vom Vertrauensmann, der kein Vertrauen hat, in dem verschiedene Funktionärstypen in einem DDR-Betrieb ihr Fett wegbekommen, wie der Chef der Betriebsgewerkschaftsleitung oder der FDJ-Sekretär:
Vertrauensmann, ach, du verkaufst unser Vertraun
Vor jeden höheren Posten
Mann, auf unsere Kosten
Mußte doch kein Männchen baun
Vertrauensmann, ach, du verkaufst unser Vertraun[ix]
In Pannachs Texten ist die Welt der Arbeitenden und der Arbeit nicht nur sehr präsent. Es ist vielmehr seine Welt. Nicht nur, wenn es um explizite Kritik an den Verhältnissen geht und er singt, addressiert an den FDJ-Sekretär: Für Lehrlinge keine Akkordarbeit mehr. Sie ist es auch, wenn die Texte lyrische Stimmungen zum Ausdruck bringen. Im Song Sonne wie ein Clown, stehen nicht nur an der Stanze „die Kollegen“, er will auch „der Schönsten von den Küchenfraun“ eine „Sonne baun“, obwohl sie ihm einen Korb gibt, als er sie fragt, ob sie „nach Feierabend“ mit ihm ausgehn will. Dieser geradezu lyrische Vers über eine Küchenfrau, ist wohl ziemlich einmalig in der deutschen Rocklandschaft.
Auch nach 1977, bereits im Westen, schaut er mit dem Blick von unten, dem Blick der Arbeitenden oder der Ausgegrenzten auf die Welt, auf den Alltag in verfallenden Häusern. Exemplarisch gesungen für das Haus besetzende Hinterhof-Gör, Pannachs deutsche Fassung des Rolling-Stones-Titels „Backstreet Girl“.[x]
Diese plebejische Sicht hat Gerulf Pannach beim Texten nie verlassen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sein eigenes Leben, in dem er nur ausnahmsweise von seiner Kunst leben konnte, ihn zwang, im Strassenbau, im Fruchthof oder als Gärtner zu arbeiten, im Osten, wie im Westen.
Renft und Pannachs Revolutionshymne
Im Jahr 1972 erschien auch erstmals auf einer DDR-Schallplatte der von Pannach getextete Kult-Hit der Klaus Renft Combo, Zwischen Liebe und Zorn. Er wurde als B-Seite der ebenfalls von ihm getexteten A-Seite auf der Single Cäsars Blues und danach auf der Amiga-LP hallo Nr. 4 veröffentlicht.[xi] Auf den 1973 und 1974 erschienenen LP‘s von Renft war der Titel jedoch nicht enthalten. Allerdings wurde der Song durch das Jugendradio DT 64 und andere DDR-Radiosender DDR-weit bekannt, besonders im Umfeld der Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1973 in Ostberlin stattfanden. Auch in der Jugend-Sendung rund des DDR-Fernsehens trat Renft mit dem Titel auf, so dass die Band inzwischen ein wohl nach Hunderttausenden zählendes Publikum erreichte. Hinzu kam aber auch die Verbreitung durch die zahlreichen Konzerte von Renft, die sie in der gesamten DDR gaben.
Der Song Zwischen Liebe und Zorn kann als exemplarisch nicht nur für das Denken und Fühlen von Gerulf Pannach am Beginn der 1970er Jahre und seine Motivation für immer kritischer werdendes Handeln bis hin zur Inhaftierung 1976 und der Ausbürgerung aus der DDR 1977 gelten. In gewisser Hinsicht spiegelt es das Lebensgefühl einer ganzen Generation von jungen kritischen Linken in der DDR wider, die sich um und nach 1968 politisiert hatten, auch wenn das Gros dieser Generation nicht oppositionell-politisch aktiv wurde, sondern innerhalb der Herrschaftsstruktur eines Parteistaates eine Modernisierung des Regimes bewirkten. Doch eine Minderheit dieser Generation wurde oppositionell aktiv, ob künstlerisch-kulturell oder im engen Sinne politisch und konspirativ.
Als Ausdruck dieses Lebensgefühls von jungen kritischen Linken in der DDR, die sich um und nach 1968 politisiert hatten und sich entweder für die Modernisierung oder für die Abschaffung der SED-Diktatur engagierten, kann der Song Zwischen Liebe und Zorn gelten, der einer Revolutionshymne gleicht:
Revolution
Ist das Morgen schon im heute
Ist kein Bett und kein Thron
Für den Arsch zufriedner Leute
Denn sie lebt in dem Sinn
Daß der Mensch dem Menschen wert ist
Daß der Geist der Kommune
Dem Genossen Schild und Schwert ist[xii]
Zum einen macht der Text in einem Staat, der sich als revolutionären Gipfelpunkt der deutschen Geschichte und der Arbeiter:innenbewegung inszenierte, den Anspruch deutlich, dass ihre Träger:innen vom Geist der Pariser Commune geleitet sein sollten. Commune wurde immer französisch gesungen. Daß der Geist der Commune zum Schild und Schwert des Genossen werden sollte, bedeutete nichts weniger, als die Einforderung einer von den plebejischen Massen geschaffenen freien Assoziation anstelle eines diktatorischen Obrigkeitsstaates, der mit rigiden Methoden vor allem Anderen Gehorsam gegenüber der Partei- und Staatsführung einforderte. Unausgesprochen bedeutete die Einforderung eines Reiches der Freiheit im Sinne der Commune auch den Ruf nach einer Revolution. Der Text war eine verklausulierte Kampfansage an das Regime eines von oben deklarierten, vermeintlich real existierenden Sozialismus, dessen Schild und Schwert die Geheimpolizei des Ministeriums für Staatssicherheit war. Denn diese sích selbst als Schild und Schwert der Parteiführung verstehende Geheimpolizei hatte keine geringere Aufgabe, als zu verhindern, dass eben jene Massen selbst das Wort ergreifen, in deren Namen das Reime zu sprechen behauptete. So machte sich Gerulf Pannach, der selbst an der Kluft zwischen der deklarierten und der wirklichen Welt des sogenannten real existierenden Sozialismus litt, weil der die verordneten Lügen hasst und vom Reich der Freiheit der Arbeitenden träumte, daran den Verhältnissen ihre Melodie vorzuspielen, um sie zum Tanzen zu bringen, wie Marx es einst formuliert hatte.Der Text von Zwischen Liebe und Zorn lässt allerdings auch erkennen, dass die Kritik sich stark an Personen und ihren individuellen Eigenschaften festmacht, an Menschen, die Im Kopfe zu bequem und am Hintern zu schwer waren und mit denen bestimmt keine Revolution zu machen wäre. Denn: Revolution ist als Morgen schon im Heute kein Bett und kein Thron für den Arsch zufriedener Leute. Gemeint waren vor allem Funktionäre, die es sich in ihrer Machtposition bequem gemacht hatten. Karrierist:innen, die nur an ihrem eigenen Haus bauen und dann unsere Fahne heraus hängen, ließen Gerulf Panach jedoch auch die Frage stellen, ob das nicht Betrug sei. Obgleich die Fahne immer noch unsere, gemeinsame ist, wird mit der Frage nach dem Betrug das Problem der Kluft von Schein und Sein der Gesellschaft, nach dem, was die Herrschenden sagen und was sie praktizieren, aufgeworfen. Durch diese Frage wird jedoch eine tiefgreifende Systemkritik möglich, die die Kluft von Schein und Sein eines Staates systematisch analysiert, der sich als Diktatur des Proletariats inszeniert, doch real eine Diktatur über eben dieses Proletariat ist.
Gerulf Pannach war kein Theoretiker oder Ideologe, sondern ein plebejischer Künstler, der sich an den Verhältnissen rieb und der eine freiheitliche Gesellschaft für alle erhoffte und namentlich für jene, auf deren Knochenarbeit sich Herrschaft etablierte. Als „Songinterpret“ goss er die Widersprüche der DDR-Wirklichkeit in Bilder, die auf die Ermutigung zum Aufrechten Gang und zur Veränderung des Bestehenden durch die Änderung des Verhaltens der Einzelnen zielten. Doch zur gleichen Zeit, als Pannach seinen Song schrieb, machte sich der Intellektuelle Rudolf Bahro daran, die Frage nach dem tatsächlichen Charakter des östlichen Systems in einem großen Wurf zu beantworten, den er 1977 der Welt als Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus präsentierte.[xiii] Gerulf Pannach wie Rudolf Bahro waren auf unterschiedliche Weise Ausdruck eines kritisch-oppositionellen sozialistischen Diskurses in der damaligen DDR der 1970er Jahre, sie waren Facetten des damaligen Zeitgeistes, wie Hegel gesagt hätte.
Von einer solchen Position aus, die er in Zwischen Liebe und Zorn deutlich machte, warf Gerulf Pannach in seinen Songs und den gemeinsamen Auftritten mit Renft immer neue Tabu-Themen der DDR auf. Einer der Songs von Pannach zielte auf die Frage nach den Motiven von denjenigen, die die DDR in Richtung Westen verlassen wollten (Rockballade vom kleinen Otto), ein anderer nach den Motiven der Bausoldaten[xiv], die den normalen Wehrdienst an der Waffe verweigerten (Glaubensfragen).
Auftrittsverbote
Das ging nicht lange gut. 1975 erhielt Pannach ein erstes Auftrittsverbot nach einem spektakulären Konzert mit Renft und der Blues-Band von Hansi Biebl im Ostberliner Metropoltheater am 3. März des Jahres. Dieses Ereignis hatte er später in einem Gedicht als Ein Prager Frühlingstag in Berlin verarbeitet. Er selbst wurde dabei wegen seiner aufmüpfigen Lieder, die das Publikum zu lautstarken Beifallsbekundungen animierten, durch die Stasi fast von der Bühne geholt, der er sich nur durch die Flucht in seine Garderobe entziehen konnte. Zahlreiche Fans hingegen wurden von der Polizei drangsaliert und festgenommen.
Trotz seines Auftrittsverbots nahm ihn Renft einige Monate lang auf ihre Konzerte mit, ein großer Akt der Solidarität, den die Stasi bestimmt nicht einkalkuliert hatte. So konnte Pannach ohne Auftrittserlaubnis als vermeintliches „junges Talent“ in den Spielpausen der Band auftreten, bis Renft dann selbst schließlich am 22. September 1975 verboten wurde. Während Gerulf Pannach sich fortan mit Hilfsarbeiten seine materielle Existenz sichern musste, begannen aber auch erste gemeinsame Auftritte mit dem bisherigen Sänger und Keyborder von Renft, Christian (Kuno) Kunert, der zu seinem langjährigen Partner und Freund wurde. Beide bemühten sich als Duo Pannach & Kunert um einen Förderungsvertrag vom DDR-Kulturbetrieb, den sie auch erhielten – schließlich war die finanzielle Abhängigkeit vom Staat ein wichtiges Mittel, um Menschen den kritischen Zahn zu ziehen. Doch nach der obligatorischen „Programmabnahme“ durch die staatliche Kulturkommission am 4. Oktober 1976 in Leipzig, wurde das Duo endgültig verboten.
Biermann-Ausbürgerung, Protest und Repression
Am 16. November 1976 wurde der oppositionell-kommunistische Barde Wolf Biermann, mit dem Gerulf Panach und Christian Kunert befreundet waren, aus der DDR ausgebürgert. Die IG Metall hatte ihn zu einem Solidaritätskonzert nach Köln eingeladen und das SED-Politbüro stimmte seiner Reise in den Westen und seinem ersten öffentlichen Auftreten nach 10 Jahren Auftrittsverbot in der DDR zu. Doch die Genehmigung seines Westauftritts war eine Falle, um den unbequemen Sänger loszuwerden. Unter dem Vorwand, bei seinem Konzert in Köln habe er die Arbeiterklasse der DDR beleidigt und verraten, wurde dem Sänger die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen, so, wie es auch die Nazis mit den ihnen unbequemen Künstler:innen und Intellektuellen getan hatten. Insbesondere dieser historische Zusammenhang zu den Methoden der Nazis rief unter allen kritisch eingestellten Menschen in der DDR und selbst unter vielen „staatstreuen“ Künstler:innen Wut und Verzweiflung, aber auch Protest hervor. Erstmals entschlossen sich führende Intellektuelle und Künstler:innen der DDR zu einem kollektiven Protest und verfassten eine gemeinsame Erklärung, mit der sie die „Partei- und Staatsführung“ zu einer Rücknahme der Ausbürgerung Biermanns bewegen wollten. Der durchaus devote Ton der Erklärung änderte nichts daran, dass allein der erstmalige kollektive und öffentliche, vom Neuen Deutschland ignorierte, aber von AFP rund um die Welt verbreitete Widerspruch einen Sprengsatz in einer totalitär-stalinistischen Diktatur bedeutete. Und so verbreitete sich die Erklärung der Schriftsteller rasch in allen kritischen Kreisen der DDR und viele, vor allem Angehörige der Intelligenzia, unterschrieben.
Für die SED-Führung waren die Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung der Anlass, um die Notbremse zu ziehen und mit dem gesamten, inzwischen entstandenen kritisch-oppositionellen Protestpotenzial in der DDR aufzuräumen, das in den Jahren zuvor unter Künstler:innen und in der Jugendkultur entstanden war.
Aus dem Knast in den Westen
Als mit Wolf Biermann und Robert Havemann befreundete Künstler, unterzeichneten Gerulf Pannach und Christian Kunert sofort die Protesterklärung der Schriftsteller:innen. Ebenso wie der mit ihnen befreundete Dichter Jürgen Fuchs wurden sie wegen „staatsfeindlicher Hetze“ umgehend verhaftet und im Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen eingesperrt. Unter Androhung extrem hoher Haftstrafen von bis zu 10 Jahren wurden Pannach und Kunert, zusammen mit Jürgen Fuchs, nach neun Monaten Untersuchungshaft am 26. August 1977 ohne Gerichtsprozess aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und in den Westen gepresst. Zu ihrer Freilassung hatte maßgeblich die Mobilisierung der westlichen Öffentlichkeit durch das Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus beigetragen, das sich die Freilassung von Jürgen Fuchs sowie Gerulf Pannachs und Christian Kunerts zum Ziel gesetzt hatte. Das Komitee war auf Initiative des Literaturwissenschaftlers und Publizisten Hannes Schwenger und anderer damaliger linker Intellektueller wie dem Historiker Manfred Wilke zustande gekommen; zu seinenprominenten Mitgliedern gehörten der sozialdemokratische Pfarrer und Politiker Heinrich Albertz, Schriftsteller wie Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt, Hans Magnus Enzensberger oder Max Frisch, aber auch der Zukunftsforscher Robert Jung und die Schauspielerin Romy Schneider.
Pannach & Kunert im Westen: Eine zweite Karriere
Die national und international angelegte und von prominenten Künstler:innen unterstützte Kampagne des Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus zur Freilassung von Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert zeitigte mit deren Freilassung am 26. August 1977 ohne ein Gerichtsverfahren einen wichtigen Erfolg. Mit der Androhung von Haftstrafen bis zu 10 Jahren hatten sie verständlicherweise ihrer Ausbürgerung in den Westen zugestimmt, das war die Methode, mit der die SED-Diktatur erneut unbequeme Kritiker:innen loswurde. Auf diese Weise hatte der Erfolg ihrer Freilassung wie in vielen anderen Fällen zugleich den faden Beigeschmack der „Entsorgung“ des kritisch-sozialistischen Potenzials der DDR in den Westen. Und in der Tat, während Gerulf Pannach und Christian Kunert im Westen als Pannach & Kunert eine zweite, die eigentliche Karriere begannen, gingen sie ihrem DDR-Publikum, so lange die Mauer stand, fast völlig verloren. Ähnlich erging es dem Schriftsteller Jürgen Fuchs oder anderen in den Westen gedrängten Mitgliedern der Klaus Renft Combo wie Bandgründer Klaus Renft (Jentzsch) selbst.
Dank der erfolgreichen Kampagne des Schutzkomitees Freiheit und Sozialismus hatten Pannach & Kunert sowie Jürgen Fuchs einen fulminanten Start im Westen. Bereits zwei Monate nach ihrer Ausbürgerung gaben Pannach & Kunert ihr erstes Konzert in der übervollen Akademie der Künste in Westberlin. Vier Tage später, am 4. November 1977, folgte ein gemeinsames Konzert mit dem Promi Wolf Biermann in der ausverkauften Eissporthalle Westberlins. Im gleichen Jahr erschien bei CBS bereits ihre erste, LP, Für uns, die wir noch hoffen. Die Scheibe enthält Songs von Pannach & Kunert sowie Texte von Jürgen Fuchs, die sie im Oktober 1976 vor ihrer Verhaftung heimlich in Leipzig aufgenommen und auf Tonband konspirativ in den Westen geschmuggelt hatten.[xv]
Gerulf Pannach und Christian Kunert lebten bis in die 1990er Jahre in Westberlin, wo sie auch ein festes Publikum in der DDR-kritischen alternativen und autonomen Linken fanden. Von der stalinistischen und von Teilen der so genannten antiimperialistischen Linken, wurden sie jedoch wie alle Oppositionellen gegen die osteuropäischen Diktaturen als Verräter:innen angesehen. Trotz solcher Art Gegenwind folgten für Pannach & Kunert Auftritte in ganz Deutschland und weitere LP‘s erschienen bei der großen Plattenfirma CBS. Sogar in Schweden kam es nach einem Konzert zu einer LP-Veröffentlichung.
Doch so künstlerisch hochwertig die erschienenen LP‘s waren, gut leben konnten Pannach & Kunert von den Erlösen nicht. Deshalb gaben sie am 21. Oktober 1982 ein vorläufig letztes Konzert im Quartier latin, dem heutigen Wintergarten in der Potsdamer Straße Berlins. Fortan mussten sie Geld mit Hilfsarbeiten verdienen oder wie Gerulf Pannach als Theatertechniker oder Straßenkehrer. Selbst diese Zeit war für Pannach unglaublich produktiv. Neben Einzelauftritten von ihm wie von Kuno textete er unermüdlich, auch für verschiedene ehemalige DDR-Künstler:innen wie Veronika Fischer. 1986 spielte Pannach die Hauptrolle in dem vom britischen Regisseur Ken Loach gedrehten Film Fatherland/Vaterland. In der ihm vorgegebenen Rolle konnte Pannach vor allem seine eigene Geschichte erzählen. Doch so interessant und cineastisch gelungen der Film war, so wenig wurde er zum Kassenschlager. Wieder konnte Gerulf Pannach von seinen künstlerischen Aktivitäten allein nicht leben und musste durch Hilfsarbeiten sein Einkommen aufbessern.
Trotz der finanziell prekären Situation kam es zu zahlreichen künstlerischen Projekten. Neben Solo-Auftritten wurden gemeinsam mit Christian Kunert seit 1987 vier Jahre lang „Weihnachtskonzerte“ unter dem Titel Heiliger Strohsack im bekannten Berlin-Wilmersdorfer Flöz durchgeführt. Auch ein Filmprojekt nach Motiven zu B. Travens „Das Totenschiff“ wurde begonnen, scheiterte aber am Finanzmangel.
Nach dem Mauerfall
Der Mauerfall am 9. November 1989 schuf eine völlig neue Konstellation für die aus der DDR ausgebürgerten Künstler:innen. Schon drei Tage später fand in Westberlin das legendäre „Konzert für Berlin“ statt, an dem neben Pannach & Kunert auch BAP, Silly, Pankow die Puhdys sowie Udo Lindenberg und Joe Cocker beteiligt waren. Mit anderen aus der DDR ausgebürgerten Künstler:innen konnten Gerulf Pannach und Christian Kunert am 2. Dezember 1989 erstmals wieder in der DDR auftreten. Anfang der 1990er Jahre kam es auch zu mehreren Auftritten der inzwischen wieder vereinigten Band Renft, an denen Gerulf Pannach und Christian Kunert beteiligt waren. Auch textete Gerulf Pannach nun wieder für verschiedene Sänger:innen, selbst für die einstmals DDR-staatstreuen Puhdys, die sich 1976 geweigert hatten, den Protest der Schriftsteller:innen gegen die Biermann-Ausbürgerung zu unterschreiben.
1996 wurde bei Gerulf Pannach erstmals Krebs diagnostiziert. Dennoch gab er nicht auf, startete verschiedene künstlerische Projekte voller Hoffnung auf Genesung. Er starb am 3. Mai 1998 in Berlin an Nierenkrebs, nicht ohne schwer erkrankt an´m nächsten Projekt zu arbeiten.
Da ist noch ein Traum …
Obgleich Gerulf Pannach am Ende seines Lebens in den 1990er Jahren viele Hoffnungen und Träume der Jugend über eine Welt jenseits des despotischen „Realsozialismus“ in der DDR oder des parfümierten Brutalkapitalismus begraben sah, hatte er bis zum Schluss von der Hoffnung auf eine bessere Welt gesungen. Pannach blieb bis zum Schluss der „Songinterpret“ und Rockpoet, der auf Bühnen ebenso zu Hause war wie auf dem Bau oder in den Kneipen der Rebellion, der die Welt stets „von unten“ und nie aus dem Blick der Herrschenden wahrnahm. Rastlos und rebellisch blieb er, wie sein ganzes kurzes Leben lang bis zum Schluss … Hinter mir wehn schwarze Fahnen/ Hab nicht Zeit für verweilende Ruh/ … und ließ uns trotz vieler Abschiede wissen…Wunder hab ich abbestellt/. aber: … Da ist noch ein Traum, Ich ruf wieder an.
Seine Krankheit hat verhindert, dass er wieder anrufen konnte, doch blieb er aktiv bis der Krebs seine Kraft aufgezehrt hatte. Nun kann er nicht mehr anrufen. Wir können ihn durch sein Werk aber abrufen. In einer Zeit der universellen Krise der Gesellschaft wie heute und eines sich abzeichnenden völligen Umbruchs des Bestehenden, ist es nicht nur gut, sich der Träume von Pannach zu erinnern, die er uns in seinen Songs hinterlassen hat, sondern auch des Wahrheitssuchers, der auf der scharfen Klinge spazierte, deren eine Seite der politische Anspruch einer Welt im Geist der Commune war, und deren andere Seite die Suche nach einem populären, nicht populistischen künstlerischen Ausdruck des unangepassten und rebellischen Lebensjenseits von Herrschaft war.
Nachtrag: Gerulf Pannach und der Exodus, der zum Anfang vom Ende der DDR wurde
Seit Anfang der 1970er Jahre artikulierte sich eine neue, eine dezidiert linke Opposition in der DDR, die an die oppositionellen Stimmen von 1968 in Ost und West anknüpfte und die im Unterschied zur kirchennahen Opposition der 1980er Jahre als Kulturopposition bezeichnet werden kann..[xvi] Insofern war auch die DDR-Opposition der 1970er Jahre geprägt vom Roten Jahrzehnt, wie es Gerd Koenen für die westdeutsche Opposition prägnant formuliert hatte. Für die Entwicklung dieser Opposition war die Biermann-Ausbürgerung und die anschliessende Repressionswelle von entscheidender Bedeutung. Eine neue Etappe der Oppositionsentwicklung war die Folge.
Die SED-Führung hatte auf die Proteste gegen die Biermann-Ausbürgerung nicht nur mit einer medialen Hetzkampagne gegen Biermann und alle, die sich mit ihm solidarisierten reagiert, sondern mit einer Welle von Verhaftungen und Berufsverboten. Wie nach dem 11. Plenum 1965, dem so genannten Kahlschlagplenum, als nicht nur die Beatkultur, sondern zahlreiche kritische Künstler:innen geächtet und ihre Werke verboten wurden, begann Ende 1976 eine neue politische Eiszeit in der DDR. Robert Havemann, bekanntester Dissident und engster Freund Wolf Biermanns wurde unter Hausarrest gestellt. Die prominenten Initiator:innen der Protesterklärung der Schriftsteller:innen erhielten Auftritts- und Publikationsverbote, darunter Berühmtheiten wie Christa Wolf, Stefan Heym, Heiner Müller oder Schauspielstars wie Manfred Krug und Armin Müller-Stahl. Andere Stars wie Nina Hagen, die die Protesterklärung ebenfalls unterschrieben hatten, folgten. Die nicht im Westen bekannten Kritiker:innen und Oppositionellen hingegen, die schon zuvor das Regime politisch herausgefordert hatten, wurden ins Gefängnis geworfen und zum Teil unter Androhung langer Haftstrafen anschließend in den Westen gepresst. 101 Personen wurden verhaftet, wovon 42 verurteilt wurden.[xvii] Exemplarisch wurde das Vorgehen des SED-Regimes in Jena, wo sich die Politbürokratie der wichtigsten Aktivist:innen der Jenaer Oppositionsszene im Umfeld der Offenen Jugendarbeit der evangelischen Kirche entledigte. Zu ihnen gehörten 1976 auch der Intellektuellenkreis um Lutz Rathenow und Jürgen Fuchs, dessen aufrührerische Aktivitäten mit Aszubildenden und weit darüber hinaus im Arbeitskreis für Literatur und Lyrik Jena zuvor verboten worden waren.[xviii] Anlass für die Verhaftungswelle in Jena war das Vorhaben, in der Stadt Unterschriften für die Protesterklärung der Schriftsteller:innen zu sammeln. Die Verhaftungen galten vor allem „den Rädelsführern“ der Opposition, weshalb ein Teil der mehr als 40 Inhaftierten Oppositionellen später wieder freigelassen wurde. Obgleich der harte Kern der Opposition in Jena ebenso wie Fuchs, Pannach und Kunert aus dem Knast in den Westen gepresst wurde, blieb Jena auch nach dieser Repressionswelle ein Zentrum der Opposition in der DDR.
Im Staats- und vor allem im Kulturapparat „erkannte Biermannfreunde“ wurden von ihren Posten entfernt oder erhielten Berufsverbot. 1977 wurde der Intellektuelle Rudolf Bahro für die Veröffentlichung seines Buches Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus verhaftet und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Für seine drei Jahre später erfolgte Freilassung und Abschiebung in den Westen hatte sich ebenfalls maßgeblich das Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus eingesetzt. Neun berühmte, im Land verbliebene, Schriftsteller:innen, die nur noch im Westen publizieren konnten, wurden 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, weil sie sich weigerten, vor der Obrigkeit zu Kreuze zu kriechen. Bis zum Ende der 1970er Jahre wurden auch alle im Untergrund entstandenen, illegalen linken Oppositionsgruppen von der Staatssicherheit zerschlagen, wie jene, die öffentliche Protesterklärungen gegen den Ausschluss der Schriftsteller:innen aus dem DDR-Schriftstellerverband mit über 100 Unterschriften organisiert hatte.
Im Resultat der Repressionswelle begann ein Exodus der linken, kritisch-sozialistischen Intelligenzia aus der DDR, die in den 1970er Jahren die regimekritischen Diskurse in der DDR hegemonial geprägt hatte. Die Anzahl der Ausreiseanträge stieg massiv an und als Anfang der 1980er Jahre Zehntausende die DDR offiziell verliessen, entstand als Ausdruck dieser Situation der Spruch „Der Letzte macht das Licht aus!“
Als auf brutale Weise die Protestwelle gegen die Biermann-Ausbürgerung niedergeschlagen worden war, wurden im Lande verbliebene kritische Künstler:innen mit Privilegien wie Reisepässen für Westreisen oder Studienaufenthalten im Westen gekapert, um sie von lautstarker Kritik abzuhalten. Das hatte weitgehend funktioniert. Aus Angst, dass sich nun innerhalb der evangelischen Kirche oppositionelle Regungen verstärkt zeigen würden, schloss der Staat mit der Kirchenobrigkeit einen Deal, bei dem Freiräume der Kirche in religiösen Angelegenheiten erweitert wurden, wobei die Kirchenobrigkeit sich verpflichtete, selbst für Ruhe innerhalb der Kirche sorgt und politische Kritik fernzuhalten.
Die SED-Politbürokratie konnte ihre Macht auf solche Weise noch einmal stabilisieren, doch in den 1980er Jahren fehlte dieses aus der DDR verjagte kulturelle Potenzial weitgehend bei der Herausbildung einer neuen Generation von Oppositionellen. Denn Künstler:innen wie Pannach & Kunert oder der frühe Jürgen Fuchs standen nicht nur für eine freiheitlich-sozialistische Entwicklung in der DDR, sondern sie verstanden sie auch als eine befreite Welt der Arbeitenden. Und das betraf nicht nur die arbeiterlichen Mehrheiten in der DDR, ihre Kunst war ja auch an sie addressiert.
Doch nun betraten neue Akteure die Bühne der Opposition, die immer stärker innerhalb oder im Umfeld der evangelischen Kirche agierte oder kulturell in den Hinterhöfen des Prenzlauer Bergs agierten.[xix] Sozial-ethische christliche Gruppen oder eine radikale Jugend, die sich nun mehr für die Besetzung von Häusern als für die Besetzung von Betrieben interessierte sowie die kleinen Überreste der marxistischen Opposition der 1970er Jahre boten eine neue oppositionelle Melange, die sich auf die Suche nach einem Dritten Weg zwischen östlichem, rot lakierten Obrigkeitsstaat und westlichem Kapitalismus machte.[xx] Diese im Umfeld der Kirche als Unabhängige Friedensbewegung entstandene Opposition war in einer atheistisch geprägten Gesellschaft kulturell weitgehend marginalisiert, so dass sich Opposition und arbeiterliche Mehrheitsgesellschaft überhaupt erstmals im Herbst 1989, dem Herbst der demokratischen Revolution politisch begegneten. Schnell wurde deutlich, wie sehr dieser Opposition die Pannachs und Kunerts und besonders kulturelle Figuren wie Gerulf Pannach gefehlt hatten – Menschen, die bereits in den Jahren vor 1989 Brücken schlagen konnten und auch wollten zwischen der Welt der arbeitenden Mehrheiten und einer Welt der politisch engagierten Kultur, die eine Gesellschaft der freien Assoziation immer auch als Welt der befreiten Arbeit verstand. Dem Bündnis von DDR-Opposition und Mehrheitsgesellschaft war deshalb nur die kurze Zeit der demokratischen Revolution im Herbst 1989 gegen die SED-Diktatur vergönnt, aber keine gemeinsame Zukunft beschieden. Deshalb trifft auf Gerulf Pannach als ins Exil gejagtem plebejischen Brückenbauer zwischen politischer Befreiung, Song- und Rockpoesie sowie arbeiterlicher Mehrheitskultur in besonderem Maße die Aussage zu, dass die Biermann-Ausbürgerung von 1976 den Anfang vom Ende der DDR bedeutete.
[i] https://www.youtube.com/watch?v=7vvPDJp6AJE
[ii] Vgl. Wolf Biermann: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, LYRICSTRANSLATE, https://lyricstranslate.com/de/wolf-biermann-drei-kugeln-auf-rudi-dutschke-lyrics.html [Zugriff 10.06.2023]: ders: In Prag ist Pariser Kommune, Jugendopposition.de,https://www.jugendopposition.de/themen/145365/prager-fruehling [Zugriff 10.06.2023]. Zu den Protesten von 1968 in der DDR vgl. Bernd Gehrke: Die 68er-Proteste in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 14-15/2008 – 31. März 2008, S.40 – 46, https://www.bpb.de/system/files/pdf/ZD0G73.pdf [Zugriff 10.06.2023]. Einen Überblick über die Unterdrückung linker und emanzipatorischer Gruppen findet sich in der Broschüre: Bernd Gehrke/Renate Hürtgen/Thomas Klein (Hrsg): „Feindlich-negative Elemente …“ Repressionen gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR, MATERIALIEN Nr. 29, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2019, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien29_feindl-negative_Elemente.pdf [Zugriff 10.06.2023].
[iii] Vgl. Gerulf Pannach: Über den Frieden (nach Sobre la pau von Raimon), in: Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte, Neu herausgegeben von Salli Sallmann. Mit Anmerkungen und Anekdoten von Kuno Kunert, Berlin 2021, S. 129, vgl. auch den Live-Mitschnitt https://www.youtube.com/watch?v=C7f3TmyFWtw
[iv] Vgl. den O-Ton Wolf Biermanns in: Deutschlandfunk – Kalenderblatt, 03.05.1998 – Vor 25 Jahren: Der Liedermacher Gerulf Pannach gestorben, https://www.deutschlandfunk.de/programm?drsearch:date=2023-05-03 [Zugriff 10.06.2023].
[v] Vgl. Gerulf Pannach: Song vom Kapital, iin: Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte, a.a.O., S. 26; vgl. das Audio Gerulf Pannach: Wer sagt, das kann nicht sein. Live 1969 – 1975, Track 2, CD Marktkram 2020.
[vi] Vgl. Perry Friedman, Wenn die Neugier nicht wär: Ein Kanadier in der DDR, Berlin 2004; vgl. auch die Buschfunk-CD Hootenanny in Ostberlin, Berlin 2016.
[vii] So der Titel eines Songs von 1971. Vgl. Gerulf Pannach: Dein Weg bleibt dein Weg, in: Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte, a.a.O., S. 71.
[viii] Vgl. zur Entwicklung der Opposition in Jena: Udo Scheer, Vision und Wirklichkeit. Die Opposition in Jena in den siebziger und achtziger Jahren, Berlin 1999;
[ix] Vgl. Gerulf Pannach: Vom Vertrauensmann, der kein Vertrauen hat, in: Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte, a.a.O., S.114.
[x] Vgl. Gerulf Pannach: Hinterhof-Girl, in: Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte, a.a.O., S. 177.
[xi] Vgl. auch Wikipedia: Zwischen Liebe und Zorn, https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischen_Liebe_und_Zorn [Zugriff 10.05.2023].
[xii] Vgl. Gerulf Pannach, Zwischen Liebe und Zorn, https://www.renft.de/zwischen-liebe-und-zorn/ [Zugriff 10.06.2023].
[xiii] Vgl. Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Hamburg 1977.
[xiv] Bausoldaten waren eine spezifische Variante von Wehrdienstverweigerung, die es in der DDR (als einzigem Land im Ostblock) für christlich motivierte wehrdienspflichtige Männer möglich machte, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Statt dessen mussten sie für die NVA Bauarbeiten verrichten.
[xv] Vgl. Für uns, die wir noch hoffen, 2013 von Marktkram zusammen mit dem Mitschnitt des Konzertes in der Akademie der Künste am 4. November 1977 als Drei-CD-Pack neu veröffentlicht unter dem Titel Gerulf Pannach, Christian Kunert: Für uns, die wir noch hoffen. Leipzig 1976, West-Berlin 1977. Der Ttel weicht vom CBS-Original ab, in dem ebenfakks Jürgen Fuchs als Autor und Interpret genannt wurde; zum heimlich aufgenommenen und in den Westen geschmuggelten Tonband, das auf der CBS-LP von 1977 Für uns, die wir noch hoffen veröffentlicht wurde, vgl. Doris Liebermann: „Gegen die Angst seid nicht stille“. Das geheime Tonband von Pannach, Kunert und Fuchs, Halle (Saale) 2022.
[xvi] Vgl. zur Entstehung dieser Opposition: Bernd Gehrke: Weichenstellungen zum Disparaten. Vom schwierigen Verhältnis der DDR-Opposition zur Arbeiterschaft, in: Peter Hübner/Christoph Kleßmann/Klaus Tenfelde, Arbeiter im Staatssozialismus, Köln-Weimar-Wien 2005; S. 405 – 424; ders.: Die neue Opposition nach dem Mauerbau. Zu Ursprüngen und Genesis oppositionellpolitischer Artikulationsformen in der DDR der 1960er und 1970er Jahre, in: Leonore Ansorg, Bernd Gehrke, Thomas Klein, Danuta Kneipp (Hg.): „Das Land ist still – noch!“ Herrschaftswandel und politische Gegnerschaft in der DDR (1971 – 1989), Köln Weimar Wien 2009, S. 202 – 225.
[xvii] Vgl. Erhard Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989, Berlin 1997, S. 224–230.
[xviii] Vgl. Fn. 7 und 16; siehe auch die Kurzdarstellung auf Jugendopposition.de: Die Aktionen der Jungen Gemeinde Stadtmitte, https://www.jugendopposition.de/themen/145383/die-aktion-der-jg-stadtmitte [Zugriff 10.05.2023].
[xix] Zur Entwicklung der Opposition in den 1980er Jahren vgl. Thomas Klein: Frieden und Gerechtigkeit. Die Politisierung der unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre, Köln/Weimar/Wien, 2007.
[xx] Vgl. Christoph Geisel: Auf der Suche nach dem Dritten Weg: Das politische Selbstverständnis der DDR-Opposition in den achtziger Jahren, Berlin 2005.
Quelle: Erstveröffentlichung
Foto: Berliner Geschichtswerkstatt