Dass es die sogenannte bürgerliche Mitte ist, von der vielleicht die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Rechtsentwicklung ausgeht, wurde in den letzten Monaten überdeutlich. Verschärfungen für Emigrant:innen, Grenzkontrollen, Versammlungsverbote. Der Diskurs der Regierungs-Parteien, lief auf eine stete Rücknahme migrationspolitischer Standards und klima- wie sozialpolitischer Versprechungen hinaus. Anhänger:innen der Grünen und der SPD haben die FDP als „Verursacher“ dieser konservativ-liberalen Talfahrt benannt, weil diese die anderen Ampel-Parteien „schändlicher Weise“ vor sich her getrieben hätte. So sah es tatsächlich aus, nur ist es am Ende egal, wer den Anstoß für eine Entwicklung gegeben hat, aus der nicht nur die AfD, sondern der rechte Flügel in allen Parteien gestärkt hervorgeht. Hat sich nach den beiden Bundestagsdebatten vom 29. und 31. Januar 2025 und der erfolgten Mehrheitsbeschaffung für die CDU durch die AfD etwas an diesen politischen Einschätzungen geändert? Gab es vielleicht doch eine „Zeitenwende“ oder ist alles beim Alten geblieben im deutschen Parlament?
Eine erste Beobachtung. Beide zur Abstimmung gestellten Antragspackete beinhalteten ausschließlich Forderungen nach Verschärfungen für Migrant:innen, Asylsuchende und Flüchtende, die zwei Tage lang Gegenstand der Debatte waren. Damit war es der CDU gelungen war, dies zum Top-Thema des Wahlkampfes zu machen. Umfragen im Januar hatten noch ergeben, dass die Asylpolitik längst nicht mehr den ersten Platz in der „Besorgnisskala“ der Deutschen einnahm, die Wirtschaft war nach vorn gerückt. Doch spätestens nach den moralisch aufgebrachten Beiträgen im Parlament gibt es wieder eine Mehrheit, die eine „Verschärfung des Asylrechts“ für geboten hält. Eine fast hysterische Debatte um die migrantischen Messerstecher hat diesem Trend einen ordentlichen Schub verpasst.
Eine zweite Beobachtung. Auch wenn es tatsächlich zunächst so aussah, als hätte sich Friedrich Merz „verzockt“ und nicht kalkuliert, dass es Abtrünnige CDU- und FDP-Parlamentarier:innen geben wird, verschärfte die CDU anschließend ihren Kurs und hat inzwischen auf ihrer Delegiertenversammlung einstimmig ein Sofortprogramm verabschiedet, das sich wie die konkrete Auslegung der eher allgemein gehaltenen AfD-Programmatik liest. Einen ernsten Schaden hat Merz also nicht genommen, die Insa-Sonntagsfrage vom 3. Februar zeigt jedenfalls keine Stimmenverluste für die CDU/CSU. Das heißt, der Versuch der reaktionären Kräfte in der CDU, sich mithilfe der AfD Mehrheiten für ihren Kurs zu verschaffen, hat das absehbare Wahlergebnis nicht relevant verändert, ihm aber auch nicht geschadet. (So weit das am 5. Februar zu erkennen ist!) Die Bundestagsdebatte hat also keine weitere Verschiebung in Richtung rechtsextrem/nationalliberal-konservative Mehrheitsverhältnisse unter den Parlamentarier:innen ergeben. Aber sie hat zutage gebracht, wer wo in diesen politischen Auseinandersetzungen steht. Mit anderen Worten, die bereits vorhandenen politischen Mehrheitsverhältnisse sind schlagartig und für jeden sichtbar ans Licht gekommen.
Eine dritte Beobachtung. Wenn schon keine „Zeitenwende“, so sind die politischen Folgen dieser mit dem Prozedere quasi erzwungenen öffentlichen Stellungnahmen der Parlamentarier:innen nicht zu unterschätzen. In der CDU und FDP zeigt sich, dass nicht alle Funktionär:innen und Mitglieder die von Friedrich Merz durchgesetzte Abstimmung für gut befanden; die einen, weil sie die AfD als Mehrheitsbeschafferin ablehnen, andere, weil ihnen die Inhalte nicht Europa konform erscheinen – und nicht etwa, weil die geplanten Vorhaben inhuman sind. Es ist davon auszugehen, dass sich die Reihen nach diversen Austritten und Kritiken wieder schließen werden. Bei den Grünen und der SPD wird das Grummeln darüber, dass man sich nach diesen heftigen Auseinandersetzungen die Regierungsbeteiligung nach dem 23.2. möglicherweise versaut hat, vielleicht zunehmen. Allerdings stehen vor allem ihre Wähler:innen jetzt auf der Straße und fordern ein, dass ihre Vertreter:innen zu dem Wort stehen, das sie Ende Januar so vehement und leidenschaftlich auf der öffentlichen Bühne geäußert haben. Das zu erwartende „Einknicken“ von SPD und Grünen nach den Wahlen am 23. Februar könnte also seinen Preis haben. A propos Wähler:innen. Es ist mir kaum vorstellbar, dass die Wähler:innen unisono Sarah Wagenknechts Abstimmungsverhalten honorieren werden. Selbst viele derjenigen, die ihren Vorschlägen einer rigorosen Asylgesetzverschärfung noch haben zustimmen können, werden das Zusammengehen mit der AfD nicht gut heißen.
Für eine linke politische Intervention sind das alles eigentlich keine schlechten Voraussetzungen: Das „Konkurrenzunternehmen“ BSW verliert an Anziehung, die Demonstrationen auf der Straße zeigen Wirkungen, es findet eine Politisierung statt, in dem Sinne, dass sich öffentlich gegen die CDU/CSU-Politik bekannt wird. Das ist kein Klassenkampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker, leider auch kein geschlossener Aufstand gegen eine verschärfte Asylpolitik, die ja unisono von allen Parteien (außer der LINKEN!) „vernünftig“ befunden wird. Es ist die Angst davor, dass der Damm gebrochen sein und die AfD nach der Wahl am 23. Februar (direkt oder indirekt) Regierungspolitik mitbestimmen könnte. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der empörten Demonstrant:innen, die von Liberal-Konservativen bis zu den Anarchist:innen reichen und für die auch Linke aus Partei und Bewegungen Präsenz zeigen müssten. Auch das ist keine „Zeitenwende“, aber eine politische Stimmung im Land, die vielleicht auch noch nach den Wahlen Wirkung zeigt. Und die es mit einiger gemeinsamer Anstrengung unter Umständen erreichbar macht, dass Die Linke mit guten fünf Prozent wieder in den Bundestag einzieht. Wer von den Linken den Parlamentarismus für bürgerlichen Kram hält und besser nicht zur Wahl geht, dem sei gesagt: Auch das ist Klassenkampf! In diesem Sinne sollten wir die Kräfteverhältnisse im Parlament und auf der Straße zu Gunsten emanzipatorischer Kräfte zu verändern suchen, damit es nicht auf der Rutschbahn Richtung Österreichs politischer Verhältnisse geht.
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Grafik: Fridays for Future Tübingen