Die Christliche Arbeiterjugend. Eine Einführung von Bernd Gehrke
Die Christliche Arbeiterjugend (CAJ Deutschland) ist ein demokratischer christlicher Jugendverband, der Teil einer internationalen katholischen Arbeiterjugend-Organisation ist. Ihre Wurzeln liegen sowohl in der Katholischen Aktion als auch in der Arbeiterbewegung. Sitz der Organisation in Deutschland ist Essen. Ihr internationales Hauptquartier befindet sich in Brüssel.

Die maßgeblich von dem jungen Arbeiterpriester und späteren Kardinal Joseph Kardijn am Anfang der 1920er Jahre in Belgien gegründete Jeunesse Syndikaliste stand am Anfang der internationalen katholischen Arbeiterjugendbewegung. Diese sich zunächst vor allem im französischen und niederländischen Sprachraum entwickelnde Bewegung trug seit 1924 den Namen Jeunesse Ouvrière Chrétienne (JOC). 1925 wurde sie offizieller Bestandteil der katholischen Pabst-Kirche. Ihr Motto war: Jede junge Arbeiterin, jeder junge Arbeiter ist mehr wert als alles Gold der Welt, weil sie oder er Tochter oder Sohn Gottes ist. Eng verbunden ist sie mit der sich vor allem während der Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland sich entwickelnden Bewegung der Arbeiterpriester. Ihre Beziehung zur katholischen Hierarchie und zum Vatikan war von zahlreichen Konflikten geprägt, namentlich in den Zeiten des Kalten Kriegs.
Eine besondere Rolle für ihre internationale Verbreitung spielte das antifaschistische Engagement der JOC während des Zweiten Weltkriegs. Etliche ihrer Aktivist:innen aus Frankreich und Belgien ließen sich als Zwangsarbeiter:innen nach Deutschland anwerben, um junge Arbeiter:innen zu unterstützen, die als Zwangsarbeiter:innen gewaltsam von den Nazi-Okkupant:innen zur Arbeit im Deutschen Reich gezwungen wurden. Sogar in nazi-deutsche KZ‘s gingen JOCisten, um ihre antifaschistische Arbeit unter jungen Arbeiter:innen zu leisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg dehnte sich die Organisation in zahlreiche Länder aus, auch nach Deutschland.
Die katholische Arbeiterbewegung spielte nicht nur im antifaschistischen Kampf gegen die Nazi-Okkupation eine wichtige Rolle, sondern auch während der radikalen Proteste von Arbeiterinnen und Arbeitern in den 1968er Jahren. So verschloss die katholische Gewerkschaft CFDT, anders als die vermeintlich radikale, kommunistisch geführte Gewerkschaft CGT in Frankreich, nicht die Betriebstore, um die Belegschaften von den radikalen Parolen der Studierenden fernzuhalten. Im Gegenteil, die CFDT übernahm die radikalste dieser Parolen: die der Arbeiterselbstverwaltung, die Forderung nach der Übernahme der Betriebe durch die Belegschaften. Nur wenige Jahre nach dem Generalstreik von 1968 in Frankreich, an dem sich 10 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt hatten, entstand eine Bewegung zur Übernahme von mehr als 70 Betrieben durch ihre Belegschaften. Deren bekannteste war die Übernahme der Uhrenfabrik LIP in Besançon durch die Belegschaft, die auf eine große internationale Solidaritätskampagne bauen konnte.
Diese Bewegung war maßgeblich durch die katholische CFDT geprägt.
Auch die radikalen Arbeiter:innenbewegungen der 1960er Jahre in Belgien oder Spanien hatten katholische Wurzeln. [Zur Rolle des Linkskatholizismus in den Arbeiterbewegungen der 1968er Jahre vgl. die Beiträge von Gerd-Rainer Horn, Rik Hemmerijckx und Frank Georgi in: Gehrke/Horn: 1968 – siehe die Literaturhinweise am Ende dieserEinführung].
Wenn gerade in Westdeutschland viele radikale Linke unter dem Einfluss der stalinistischen Propaganda von SED und DKP die Nase über sie rümpften, kann aus heutiger Sicht festgehalten werden, dass selbst die größte radikale Massenbewegung der Arbeiter:innen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Bewegung der Solidarność in Polen von 1980/1981, stark katholisch geprägt war. Das Programm dieser rund 10 Millionen abhängig Beschäftigte umfassenden Bewegung hatte eine sich auf die Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe gründende radikal demokratische, sich selbst verwaltende Republik auf die historische Tagesordnung gesetzt. Die Unterdrückung dieser Massenbewegung durch einen Militärputsch und die anschließende Installation der Militärdiktatur unter General Jaruzelski bereitete den Weg Polens zur Wiedereinführung des Kapitalismus in Polen vor: 1987 trat das Polen der vermeintlich sozialistische Militärjunta dem Internationalen Währungsfonds bei.
Der gewerkschaftliche Linkskatholizismus in Polen hatte freilich mit der Bewegung der JOCisten oder der Arbeiterpriester nichts zu tun, denn der konservative polnische Klerus hatte diese Bewegungen in der Katholischen Kirche Polens als prokommunistisch verdammt und sie erst gar nicht als katholische Organisationen zugelassen.
Christliche Arbeiterjugend in Westdeutschland
In den westlichen Besatzungszonen, namentlich in der französischen, entstanden nach 1945 katholische Gruppen junger Arbeiter:innen. Der 25. und 26. Januar 1947 gilt als Gründungsdatum der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) in Westdeutschland. In vielen und wichtigen Kämpfen der westdeutschen Arbeiter:innenklasse spielten ihre Aktivist:innen eine aktive Rolle. Am bekanntesten wurde der Arbeiterpriester Fritz Stahl.
Junge Christliche Werktätige in der DDR
Abertausende Seiten sind über die Opposition in der DDR inzwischen veröffentlicht worden. Die Evangelische Kirche und die Opposition, die sich schrittweise ihren Platz in dieser Kirche erkämpfte, spielen dabei eine wesentliche Rolle. Nicht zu Unrecht, denn die Katholische Kirche war für die Opposition in der DDR weitgehend unzugänglich und deshalb nur von marginaler Bedeutung für sie. Doch dieser Umstand hat die Forschung mit Ausnahme der Darstellung einiger Aktivist:innen von Pax Christi bisher zur Vernachlässigung der Konflikte innerhalb der Katholischen Kirche in der DDR und namentlich zur Ignoranz gegenüber den Anhänger:innen der katholischen Arbeiterbewegung innerhalb dieser Kirche geführt. Die Instanzen der Katholischen Kirche tragen dafür eine ebenso wichtige Verantwortung wie die Staatssicherheit der SED-Diktatur.
Umso wichtiger ist es, sich jenen oppositionellen Strömungen innerhalb der Katholischen Kirche in der DDR zu widmen, um ihren Charakter und ihre Praxis zu erkunden. Eine völlige Leerstelle in der Forschung zur DDR-Opposition wie in der Bildungsarbeit ist die bisher nahezu unbekannte Gruppierung Junge Christliche Werktätige als Ableger der internationalen katholischen Arbeiterjugend (JOC/YCW) in der DDR.
Im Zangengriff von SED-Staatssicherheit und einer reaktionär gewendeten Politik des Vatikans, die unter dem polnischen Pabst Paul II. in den 1980er Jahren gegen die Theologie der Befreiung und alle progressiven katholischen Bewegungen und Organisationen vorging, mussten auch die Jungen Christlichen Werktätigen in der DDR ihre Tätigkeit einstellen. Doch waren gerade die 1980er Jahre in der DDR jene Zeit, in der die Kirchen als Hort von (Jugend-)Opposition ihren Aufschwung erlebten, nachdem die SED seit der Zwangsausbürgerung des kritisch-kommunistischen Liedermachers Wolf Biermann die Kulturopposition der 1970er Jahre zerschlagen und einen Exodus der kritischen Intelligenz in Gang gesetzt hatte.
Das Fehlen von Ansätzen einer autonomen Arbeiter(jugend)bewegung sollte sich in den Tagen der demokratischen Revolution von 1989 schmerzlich bemerkbar machen: Die Arbeiterbewegung stand vor einem völligen Neuanfang, die Belegschaften waren bar jeglicher Vorerfahrungen und Kenntnisse von autonomer betrieblicher und überbetrieblicher Selbstorganisation.
Inzwischen sind wichtige Dokumente, die die Aktivitäten der Jungen Christlichen Werktätigen in der DDR sowie deren Unterbindung durch die katholische Hierarchie belegen, der Öffentlichkeit zugänglich. Sie sind im KADOC. Documentation and Research Centre on Religion, Culture and Society an der Katholischen Universität Leuven archiviert.
Im Folgenden veröffentlichen wir nachstehend erstmals in deutscher Sprache ein Interview mit Norbert Kollenda, dem einzigen ehemaligen hauptamtlichen Organisator der Jungen Christlichen Werktätigen in der DDR, in dem er sich über deren Aktivitäten und deren Ausbootung durch die katholische Hierarchie öffentlich äußert.
Das Interview wurde von einem Mitarbeiter des KADOC mit Norbert Kollenda geführt. Es erschien auf Englisch, Französisch und Spanisch im letzten Herbst auf der Website der Jeunesse Ouvrière Chrétienne International.
Wir danken Norbert Kollenda für die Bereitstellung der deutschen Fassung des Interview-Textes sowie der Fotos.
Wir hoffen, dass wir mit der deutschsprachigen Veröffentlichung dieser Materialien über die Jungen Christlichen Werktätigen in der DDR einen Anstoß geben für eine ernsthafte wissenschaftliche Erforschung der Aktivitäten dieser Organisation der katholischen Arbeiterjugendbewegung in der DDR.
Weiterführende Literaturhinweise zur katholischen Arbeiter(jugend)bewegung
Joseph Kardijn: Laien im Apostolat, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 1964
Siehe den informativen Überblick auf Wikipedia zur Christlichen Arbeiterjugend CAJ
Christian Bauer: Priester im Blaumann? Das französische Experiment der Arbeiterpriester (Teil I); feinschwarz. THEOLOGISCHES FEUILLETON; 1. März 2024; https://www.feinschwarz.net/priester-im-blaumann-das-franzoesische-experiment-der-arbeiterpriester-teil-1/
Christian Bauer: Priester im Blaumann? Das französische Experiment der Arbeiterpriester (Teil II); feinschwarz. THEOLOGISCHES FEUILLETON; 1. März 2024; https://www.feinschwarz.net/priester-im-blaumann-das-franzoesische-experiment-der-arbeiterpriester-teil-2/
Bernd Gehrke/Gerd-Rainer Horn (Hrsg.): 1968 und die Arbeiter. Studien zum »proletarischen Mai« in Europa, VSA Verlag, Hamburg, Neuauflage 2018
Jerzy Holzer: Solidarność. Die polnische Gewerkschaft ”Solidarität” in Dokumenten, Diskussionen und Beiträgen, Bund-Verlag, Köln 1983
Links
KADOC: https://kadoc.kuleuven.be/english
Interview Norbert Kollenda: https://joci.org/en/press-releases/iycw-archives/418-hidden-histories-the-ycw-movement-in-the-german-democratic-republic.html?highlight=WyJrb2xsZW5kYSIsMTk0MSwid2hvIiwia29sbGVuZGEgMTk0MSIsImtvbGxlbmRhIDE5NDEgd2hvIiwiMTk0MSB3aG8iXQ==
Fotos:
Foto Joseph Cardijn: www.cathobel.be
Foto CFDT 1968: https://lecumedunjour.fr/1968-en-auvergne-rhone-alpes/
Foto CFDT und LIP 1973, Marsch der 100.000 in Besançon: https://www.francebleu.fr/s3/cruiser-production/2023/09/400c3df3-73eb-4958-8b3d-f7c3c20a7176/1200x680_sc_ep8-manif-29-septembre-000-arp1764727.jpg
Foto Solidarność, Werft Danzig: Solidarität.info
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„Heiße Geschichte“: Die Akten über die YCW in der Deutschen Demokratischen Republik sind jetzt sicher im KADOC gelagert
Interview von KADOC mit Norbert Kollenda
Wir alle kennen die Bilder von Deutschen die mit Hammer und Meißel die Mauer einschlagen, die sie voneinander die sie voneinander trennte. Auf den Tag genau vor 32 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Das war nicht nur das Ende Teilung Berlins, sondern setzte auch den Zerfall des Ostblocks in Gang und bedeutete das Ende des Kalten Krieges, der Europa und die Welt in den vorangegangenen vier Jahrzehnten geteilt hatte. Die historische Bedeutung dieses Tages kann kaum genug hervorgehoben werden.
Daher ist der heutige Tag eine ausgezeichnete Gelegenheit, um über einen interessanten Fund in den Archiven des IYCW zu berichten. Unter den zahlreichen Kisten, die Länderakten enthalten, stießen wir auf zwei Kisten mit der Aufschrift „Ost-Deutschland“. Die Kisten sind mit handschriftlichen Papieren gefüllt, oft mit Mitgliederlisten oder sehr knappen Berichten. Was war die Geschichte dieser Dokumente? Gab es einen YCW in der Deutschen Demokratischen Republik? Und wenn ja, wie gelangten die Archivboxen sicher nach Brüssel?
Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, erhielt Norbert Kollenda zahlreiche Anrufe von seinen Freundinnen und Freunden aus der ehemaligen JOC, wie Irené Kurzawska, Marlyse Strasser-Thommen. Seine Antwort dazu. „Ja danke, aber nun werden wir nicht 10 sondern eher 100 Jahre bis zur nächsten Revolution brauchen!“ Und sie verstanden seine Antwort…
Mit Hilfe der deutschen CAJ und Bernhard Bormann konnten wir Kontakt zu Norbert Kollenda (°1941) aufnehmen, der alles über dieses faszinierende Stück Archiv weiß. Er war der einzige hauptamtliche Leiter der Jungen Christlichen Werktätigen in der Deutschen Demokratischen Republik von 1970-1981. Ab 1969 wurde Norbert vom IJW gebeten, die Möglichkeiten einer Ausweitung der JCW in andere sozialistische Länder wie die Tschechoslowakei und Polen zu erkunden. Als wir mit ihm Kontakt aufnahmen, war er sehr bereit, unsere Fragen zu beantworten. Wir danken ihm sehr für das folgende kurze Interview.

S: Können Sie uns sagen, wie die JCW in der DDR aussah? Wie hat sie sich an das Leben unter dem Regime angepasst und wie kam es schließlich zu ihrem Verbot?
Kollenda: Mit Ausnahme von zwei kleineren Regionen war die DDR eine Diaspora. 1970 wurden zum Beispiel in Leipzig 10 % aller Neugeborenen getauft.
Die Pfarrer haben sich bemüht, dass wir die Jugendlichen nicht abwerben. Außerdem gab es in den Kirchengemeinden kaum junge Auszubildende oder Arbeiter – auch in den evangelischen Kirchengemeinden. Obwohl den Gläubigen in der Regel die Möglichkeit verwehrt wurde, später das Abitur zu machen und zu studieren, trafen wir in den Gemeinden meist Schüler und Studenten an. (Merkel konnte als Pfarrerstochter auch studieren!) Durch Kontakte in den Gemeinden, Priester, Mundpropaganda, Sommerfreizeiten und Wochenenden in kirchlichen Jugendzentren konnten wir an verschiedenen Orten kleine Gruppen bilden. Wir versuchten auch, in den Großstädten aktiv zu sein. Die jungen Leute trafen sich regelmäßig zu Hause, um nach den Methoden der CAJ zu arbeiten. Es war uns klar, dass die Stasi uns im Visier hatte und dass die meisten Bischöfe uns nicht mochten.
Auch wenn die katholische Kirche in der DDR anfangs ein entschiedener Gegner des Regimes war, arrangierte sie sich hinter den Kulissen mit diesem. Der Staat und der Staatssicherheitsdienst der DDR dienten der Kirche dazu, unliebsame Theologen und Gruppen zu disziplinieren. Sie – also ein Monsignore – beriefen sich stets auf geheime Verhandlungen mit dem Staat. Das ging sogar so weit, dass eine Solidaritätsgruppe mit Hilfe der Stasi verboten wurde. Die DDR-Bischofskonferenz verbot 1980 die JCW – natürlich in einer „diplomatischen“ Umschreibung.

S: Bei der Bearbeitung des IYCW-Archivs im KADOC bin ich auf zwei Archivboxen aus der DDR gestoßen. Können Sie mir mehr darüber erzählen, wie die Dokumente der Jungen Christlichen Arbeiter in der DDR gelagert wurden und wie Sie schließlich an diese Schachteln in Brüssel gekommen sind? Gab es noch andere Dokumente, die beschlagnahmt wurden und es nicht in den Westen geschafft haben?
Kollenda: Wir haben grundsätzlich so wenig Akten wie möglich geführt. Zur Zeit meiner Freistellung gehörte ich zum Oratorium St. Philipp Neri in Leipzig und dort im Büro im Pfarrhaus waren die Akten relativ sicher. Nach dem Verbot hatte ich die Akten kurzzeitig in Berlin bei meinem evangelischen Kollegen. Wie sich nach 1990 herausstellte, war er ein Stasi-Spitzel (informeller Mitarbeiter). Ob er die Akte mit den offiziellen Briefen mit Bischöfen und kirchlichen Behörden tatsächlich weitergab , kann ich nicht mit Gewissheit sagen. In den ganzen Jahren bis 1991 waren die Akten in Leipzig auf dem Dach der Kirche versteckt. Einmal gab es eine Aktion mit Marlyse und anderen, bei der ich die Akten nach Brüssel brachte.
S: Wie haben Sie persönlich das Regime während Ihrer Zeit bei den Young Christian Workers erlebt? War Ihre Arbeit mit erheblichen persönlichen Risiken verbunden? Hatten Sie Kontakte, die eigentlich verboten waren? Zum Beispiel mit dem Westen oder dem IYCW?
Kollenda: Als ich die Arbeit übernommen habe, habe ich einige persönliche Briefkontakte in den Westen abgebrochen, ich wollte keine „Berichte“ für die Stasi liefern. Bis 1969 hatten wir regelmäßigen Kontakt mit der Bundesleitung in Essen. Der Nachfolger von Arnold Willibald als Nationalkaplan war ein gewisser Höfels, der uns bei Treffen in der Bundesrepublik politisch ins Spiel brachte. Das hat uns veranlasst, die Kontakte zur deutschen Nationalleitung abzubrechen. In der Folge liefen die Kontakte über einzelne Personen in Brüssel. Berlin, wo meine Eltern lebten, war eine gute Gelegenheit, sich zu treffen.
Ich kam erst in direkten Kontakt mit dem Staatssicherheitsdienst, nachdem die Arbeit verboten worden war. Ich habe getan, was ich den jungen Leuten empfohlen habe – sie sollten es nicht verschweigen, sondern allen erzählen und dann würden sie in Ruhe gelassen. Es war mir klar, dass ich nach meiner Auszeit berufliche Probleme bekommen würde, und die kamen immer wieder. Ich war sogar einige Wochen arbeitslos und hatte keine Chance, als Hygieniker im Gesundheitsamt zu arbeiten, also arbeitete ich als Krankenpfleger in der Psychiatrie.
S: Sie waren auch für Initiativen zur Ausweitung des CAJ auf Osteuropa verantwortlich. Können Sie mir mehr darüber erzählen? Gab es dabei größere Schwierigkeiten?
Kollenda: Als die Cardijn-Stiftung gegründet wurde, habe ich zum Beispiel erst im Jahr 2000 herausgefunden, dass es vor 1945 in der Tschechoslowakei einen YCW gab und dass dieser nach 1948 inhaftiert wurde. Ich habe dann mit ihnen Kontakt aufgenommen.
Erste Kontakte knüpften wir über unsere Sommerfreizeiten, und mein Vorgänger Pfarrer Georg Kirch hatte bereits Kontakte in Polen geknüpft. Es gab JOC-Gruppen in Oberschlesien und ich habe mich auf Polen konzentriert, weil ich die Sprache sprechen kann.
Es gab auch Kontakte in der Tschechoslowakei, aber da habe ich eher Leute aus der Untergrundkirche unterstützt, die alle die CAJ-Methode kannten. Aber in der Tschechoslowakei war die Kirche einer massiven Kontrolle unterworfen.

In Polen ist die Kirche eine sehr klerikale Kirche, was sich vor allem in sakramentalen und bombastischen Feiern ausdrückt. Marcel Uylenbroeck (Nachfolger von Cardijn, zu der Zeit Im Vatikan, Sekretär im Laienrat) wollte die Sache unterstützen und hoffte, durch seine Freundschaft mit dem Krakauer Erzbischof Wojtyła die Weichen stellen zu können. Als ich nach einer Weile seine Antwort erhielt, sagte er, dass es für Polen keinen Weg gäbe. (Ich muss dazu sagen, dass mir ein Pfarrer aus einer Industriestadt Nowa Huta in der Nähe von Krakau erzählte, dass auch er seinen Bischof nicht davon überzeugen konnte, dass eine andere Seelsorge notwendig wäre. Kein Wunder, dass er auch als Papst die unterschiedlichen Realitäten verneinte) Ich hatte viele Kontakte in Polen. Als 1970 die ersten Jugendgruppen aus den polnischen Kleinstädten zur Arbeit in die DDR kamen, habe ich Kontakte geknüpft und versucht, mit ihnen im Sinne des CAJ zu arbeiten. Aber 90 % der jungen Leute hatten kein Interesse an dem, was die Kirche war. Auch ein polnischer Stasi-Mann verfolgte mich und einer von ihnen übernahm sogar ein Arbeiterwohnheim als Leiter – meinetwegen, wie er mir sagte.
In Oberschlesien wurden die JCW – Gruppen vor Gericht gestellt und dann verboten. Sie begründeten es u.a. damit, dass diese Gruppen nicht die Erlaubnis der Bischöfe hatten. Außerdem gab es diskriminierende Äußerungen von Priester-Spitzeln über politisch feindliche Tendenzen bei der JCW. Aber der Parteisekretär im Betrieb des Leiters der Gruppen und sein Brigadier schützten sie so gut wie möglich und warnten sie zum Beispiel, als ihre Wohnung abgehört wurde. Mein Aufenthalt in Polen musste beim Grenzübertritt nach Katowice gemeldet werden.

S: Eine letzte Frage. Welchen Einfluss hatte Ihrer Meinung nach die Existenz im Kommunismus auf die JCW – Bewegung im Allgemeinen? Hat dies die heutige Bewegung geprägt (sowohl national als auch international)?
Kollenda: Über die Zeit nach 1981/1990 bezüglich der CAJ bin ich nicht informiert.Durch ein Treffen in Nürnberg im Oktober 2020 habe ich einige Berichte über die Art und Weise des Aufbaus einer JOC in den ehemaligen sozialistischen Ländern erfahren. Ich war erschüttert, als ich hörte, dass in Krakau eine Kunststudentin dazu auserkoren wurde. Nicht ohne Grund hat Cardijn eine Christliche Arbeiter Jugend aufgebaut*.
Meiner Ansicht nach sollte beim Aufbau einer CAJ in den Ländern Migranten, die die Landessprache sprechen, einbezogen werden. Gerade diejenigen, die wir ansprechen wollen, gehören nicht unbedingt zu denen, die flüssig englisch sprechen.
Fotos: Norbert Kollenda