Christiane Mendes Buch, „Spur der Scherben. Die Selbstverwaltung der Glashütte Süßmuth und der Niedergang der bundesdeutschen Mundglasbranche 1969 – 1989“, erschien bereits 2023 im transcript Verlag Bielefeld. Darin beschreibt die Autorin die im März 1970 erfolgte Betriebsübernahme der Glashütte Süßmuth im nordhessischen Immenhausen durch die Belegschaft. Dieser nahezu einmalige Vorgang in der bundesrepublikanischen Geschichte, dass eine Belegschaft sich ermächtigt, die Leitung des Betriebes zu übernehmen, um ihn vor der Schließung zu bewahren, ist schnell in völlige Vergessenheit geraten. Die Geschichte der bundesrepublikanischen Arbeiterbewegung, darunter auch die der Gewerkschaften, kommt bis heute weitgehend ohne die Erinnerung an „wilde Streiks“, Betriebsbesetzungen und den Versuchen betrieblicher Selbstverwaltung aus. Umso wichtiger, dass Christiane Mende diesen über fünf Jahre andauernden Prozess akribisch recherchiert hat, das Verhalten der Geschäftsleitung, der politischen, gewerkschaftlichen Akteure und vor allem den Lernprozess der Belegschaft belegen konnte. Zugleich ist der Autorin eine bundesrepublikanische Sozial-und Kulturgeschichte der 1970er Jahre gelungen, in der der Niedergang eines ganzen Industriezweiges auf eine betriebliche Aufbruchstimmung der „1968“-Bewegung traf und so zu diesem historischen Ereignis in der Glashütte Süßmuth führen konnte.
Im Januar 2025 veröffentlichte Christiane Mende einen ausführlichen Artikel, in dem sie nicht nur die wichtigsten Ergebnisse ihres Buches zusammengefasst hat, sondern mit weiteren betrieblichen Beispielen aus der Glasindustrie Neues hinzufügen konnte. Auch hier wird wieder erkennbar, dass es einen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Krisensituation, dem Niedergang einer ganzen Industrie und der „ungewöhnlichen Maßnahme“ einer Betriebsbesetzung gibt, was solchen Belegschaftsinitiativen „in der Vielfachkrise der Gegenwart“ (Mende) wieder einige Relevanz verleiht. Sie fragt nach den politischen Rahmenbedingungen, den emanzipatorischen Potenzialen solcher Erfahrungen, der Rolle der Gewerkschaften und den Gründen für die Niederlagen. Und sie stellt die Frage danach, was sich „aus diesen historischen Erfahrungswerten für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen, für die sich auf allen Ebenen zuspitzenden Verteilungskämpfe und für die Diskussion, inwiefern Belegschaftsübernahmen künftig emanzipatorisches Mittel des Arbeitskampfes sein können“ ableiten ließe. (S. 145) Ein wichtiger Beitrag für unsere gerade wieder verstärkt geführte Debatte über Wirtschaftsdemokratie, Enteignung und Vergesellschaftung.
Der Artikel erschien auf Sozial.Geschichte Online 37 (2024), S. 65–152
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