Polnische Presseschau 230: Polen hatte nicht nur zu Zeiten der Polnischen Volksrepublik, sondern auch unter der PiS–Regierung, große Probleme, mit der eigenen Geschichte sorgfältig umzugehen. Der Rolle der Polnischen Armee unter General Berling, die an der Seite der Roten Armee gegen die faschistischen Horden kämpfte, wird heute immer noch nicht der notwendige Respekt entgegen gebracht.
Hier der vollständige Artikel von Adam Węgłowski, Journalist und Buchautor. Er war Chefredakteur der Zeitschrift „Focus Historia“ und an verschiedenen historischen Forschungen beteiligt. Er veröffentlichte Artikel u. a. in „Przekrój“, „Ciekawostki historycznych“ und „Tygodnik Powszechny“. Er ist Autor von Retro-Krimis, Thrillern und Büchern zur Popularisierung der Geschichte.
Adam Węgłowski
Im Mai jährt sich zum 80. Mal die Einnahme von Hitlers Berlin – auch durch polnische Soldaten. Warum wird dieses Ereignis so stiefmütterlich behandelt? Waren die Soldaten der polnischen „Volksarmee“ die „Einrichter des Kommunismus in Polen“? Erinnert sich der Westen an die Beteiligung der Polen an der Berliner Operation?
Das polnische Parlament hat vor einigen Monaten beschlossen, dass die Schirmherren des Jahres 2025 – aufgrund ihrer Verdienste und der mit ihrer Biografie verbundenen Jahrestage – sein werden: Olga Boznańska, Maria Pawlikowska-Jasnorzewska, Franciszek Duszeńko, Wojciech Jerzy Has, Władysław Stanisław Reymont, Antoni Słonimski, Kazimierz Sosnkowski, Pater Józef Tischner, Stefan Żeromski, sowie die ersten Könige Polens und die ermordeten Soldaten von Katyn, Charkiw und Miednoje.
Die polnischen Soldaten, die vor 80 Jahren an der Einnahme Berlins beteiligt waren, wurden jedoch völlig ignoriert. Könnte es sein, dass die Politiker beschlossen haben, dass Soldaten, die Opfer Stalins waren, und Soldaten, die an der Seite der Roten Armee die Hauptstadt Nazi-Deutschlands einnahmen, nicht im selben Jahr besonders geehrt werden können?
Aber der Tag der Flagge wird ja gerade am 2. Mai gefeiert, um an die polnischen Soldaten zu erinnern, die die rot-weiße Flagge an der Berliner Siegessäule hissten. Ist das nicht eine bizarre Geschichtspolitik? Warum werden die Soldaten der polnischen „Volksarmee“ an der Ostfront von einer Art „Entwertung“ betroffen?
Verschiedene Arten von Berling–Eroberern
Nach 1989 wurde fast jedem der Stempel „Installateure des Kommunismus in Polen“ aufgedrückt. Auf der anderen Seite gibt es eine schizophrene Situation, wenn wir am 2. Mai den Tag der Flagge feiern, um an das Aufstellen der siegreichen rot-weißen Fahnen im eroberten Berlin durch die Soldaten der „verfluchten“ 1. polnischen Armee zu erinnern! Ganz zu schweigen von der 2. Armee, die fast ausschließlich durch das Prisma ihres berüchtigten Befehlshabers General Swierczewski betrachtet wird. Aber welche Wahl hatten die jungen Männer und Frauen, die zu Hunderten im Kessel von Bautzen starben?“ – fragt Piotr Korczyński, stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift „Polska Zbrojna. Historia“ und Autor von Büchern über das Militär (u.a. „Piętnaście sekund. Żołnierze polscy na froncie wschodnim“ – „15 Sekunden. Polnische Soldaten an der Ostfront“) und von Interviews mit Zeitzeugen.
„Sie standen vor der sehr schwierigen Entscheidung, an der Seite derer zu kämpfen, die ihnen als Feinde galten. Es gab für sie keinen Ausweg, und sie waren sich dessen oft bewusst“, so Dominik Czapigo, langjähriger Dokumentarfilmer und Redakteur bei der Stiftung KARTA-Zentrum und Autor der Sammlung „Żołnierze tragiczni“ („Tragische Soldaten“) über die Berling-Armee an der Seite der Sowjetunion. Dafür genügt ein Blick in die Biographien der Berling-Soldaten. Es gab Polen, die von Stalin ins Exil geschickt wurden und es nicht in die Anders-Armee* schafften. Es gab Polen, darunter auch Partisanen, die in die polnische „Volksarmee“ eingezogen wurden, als die Rote Armee an der Ostfront vorrückte. Es gab auch idealistische Kommunisten und sowjetische Offiziere.
Unterteilung des Soldatenblutes in besseres und schlechteres
„Natürlich können die Verbrechen des kommunistischen Regimes in Polen nicht verschwiegen werden; einige Angehörige der polnischen Streitkräfte waren persönlich dafür verantwortlich, aber gleichzeitig waren die Soldaten der Ersten und Zweiten Polnischen Armee ebenso Opfer dieses Regimes wie die Soldaten des Unabhängigkeitsuntergrunds oder diejenigen, die von den polnischen Streitkräften im Westen nach Hause zurückkehrten. Das Blut der Soldaten in besser oder schlechter einzuteilen, die blutigen Schlachten der polnischen Soldaten wie die Schlacht von Lenino, die Kämpfe um Prag, die pommersche Mauer, Kołobrzeg, die Erstürmung der Oder, Bautzen oder schließlich Berlin zu verschweigen, ist nicht nur ahistorisch, sondern – ich scheue mich nicht, dieses Wort zu benutzen – schlichtweg gemein“, meint Piotr Korczyński.
Man kann diese Tausenden von Soldaten nicht als „Installateure des Kommunismus in Polen“ bezeichnen, denn ihre Ansichten waren oft ganz anders.
Iwan Serow über die Berling–Soldaten
Der NKWD-Verbrecher Iwan Serow, der für das Massaker von Katyn mitverantwortlich war, schrieb im April 1945 an seinen Chef Lavrenti Beria über die Stimmung unter den Berling-Soldaten wie folgt: „Im Zusammenhang mit der raschen Bewegung der alliierten Truppen an der Westfront sind unter den Gefreiten und Offizieren der 1. polnischen Armee, die als Teil der 1. weißrussischen Front operiert, ungesunde Stimmungen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Treffen mit den Truppen der Anders-Armee aufgekommen.“ Danach zitiert er Aussagen von Soldaten wie: „Auf der anderen Seite von Berlin steht neben der englischen Armee die Anders-Armee. Wenn sie auf die polnische Armee trifft, werden die meisten unserer Gefreiten und Offiziere zu den Anders-Soldaten übergehen. Die Sowjetmacht hat uns in Sibirien genug gequält“; „Es ist gut, dass die polnische Armee auf die Anders-Armee trifft, die dann gemeinsam mit unserer Armee kämpfen und unsere gegenwärtige demokratische Regierung [gemeint ist die von Stalin eingesetzte Lubliner Regierung – Anm. d. Red.] stürzen wird, die das polnische Volk zum Hungertod verurteilt“; “Wenn der Krieg in Deutschland vorbei ist, werden wir immer noch gegen Russland kämpfen“; “Sie pfropfen uns ihre Demokratie auf. Sobald unsere Truppen mit der Anders-Armee vereint sind (…) wird die ‚Londoner Regierung‘ Polens die Macht in die eigenen Hände nehmen, und dann wird Polen das sein, was es bis 1939 war. England und Amerika werden Polen helfen, die Russen zu vertreiben“.
Dementsprechend empfahl Serow die Verhaftung von Berling-Männern, die sich offen mit den Anders-Sodaten treffen und die provisorische Marionettenregierung kritisieren wollten. Außerdem sollten die Radios beschlagnahmt werden, damit die Soldaten keine Nachrichten aus London hören konnten. Doch so sehr er sich auch bemühte, Serow konnte nicht alle Stimmen der Unzufriedenheit beseitigen, sondern sie nur zum Schweigen bringen.
Ein Tropfen im Meer der Roten Armee?
Etwa 165.000 polnische Soldaten nahmen an der Berliner Operation (16. April – 2. Mai 1945) teil. Scheinbar ein Tropfen im Meer von mehr als 2 Millionen Rotarmisten, aber dennoch erlebten die Polen sowohl die blutigen Kämpfe gegen die Deutschen als auch die ganze Brutalität von Stalins Krieg.
Sie wurden in Deutschland Zeugen von Vergeltungsmaßnahmen, Vergewaltigungen und blinder Rache – und nahmen manchmal sogar daran teil. Andrzej Rey, ein ehemaliger Soldat der Heimatarmee, der zur „Volksarmee“ eingezogen wurde, erinnert sich: „Opfer dieser Grausamkeiten und manchmal auch Täter war die zahlreiche nichtdeutsche Bevölkerung dort: Zwangsarbeiter, die aus ganz Europa ins Reich transportiert wurden, und befreite Kriegsgefangene verschiedener Nationalitäten. Ich hatte ein Zusammentreffen mit französischen Kriegsgefangenen aus einem Stalag, weil wir sie beim Rauben und Vergewaltigen erwischt haben. Bis heute bereue ich, dass ich sie entgegen den Befehlen ungestraft davonkommen ließ (…) Als ich in der dunklen Nacht durch das Villenviertel zu meinem Quartier zurückkehrte, hörte ich die Stimme einer Frau, die auf Polnisch um Hilfe rief. Mit einem Sprung durch ein zerbrochenes Fenster war ich in einem Zimmer, in dem sich ein Mädchen in zerlumpter Kleidung verzweifelt gegen einen sowjetischen Soldaten wehrte. Als der Schläger mich sah, griff er blitzschnell nach seiner Pepescha [sowjetische Maschinenpistole – Anm. der Red.]. Ohne zu zögern, pumpte ich ein volles Magazin aus der Parabellum [deutsche Pistole – Anm. d. Red.] in ihn hinein – wie in einen tollwütigen Hund.
Bis zum Quartier meines Zuges war es nicht weit. Vorsichtshalber nahm ich zwei Männer von dort mit und wir eskortierten das völlig verstörte Mädchen zu dem polnischen Konvoi, der sich gerade in Bewegung setzte. Ich drückte ihr noch ein paar Goldmünzen in die Hand, die meine unverbesserlichen Soldaten in den Trümmern von Kołobrzeg erbeutet und mir für eine schwarze Stunde gegeben hatten. Unterwegs erfuhr ich von ihr, dass sie an der geheimen Universität Warschau Medizin studiert hatte und nach der Niederschlagung des Aufstandes zur Arbeit nach Deutschland deportiert worden war.
An diesem Abend in meinem Quartier konnte ich lange nicht schlafen, trotz meiner Müdigkeit und des flauschigen Teppichs, auf dem ich lag. Ich ging in Gedanken all die Schrecken durch, die ich hier erlebt, aber auch teilweise mitgemacht hatte“ (nach: Dominik Czapigo, „Berlingowcy. Żołnierze tragiczni“).
Dreizehntausend polnische Soldaten auf den Straßen von Berlin
Knapp 13.000 Polen nahmen an den direkten Kämpfen auf den Straßen Berlins teil – was als Ehre angesehen wurde. Das waren scheinbar wenige, aber sie waren keineswegs nur ein Schatten hinter den Sowjets.
Es mag den Anschein haben, dass im „Meer“ der sowjetischen Fronten die beiden polnischen Armeen, die nur dem Namen nach solche waren, weil es sich tatsächlich um Armee-Korps handelte, von geringer Bedeutung waren und dass die Teilnahme polnischer Soldaten an der Erstürmung Berlins nach Stalins Willen nur Propaganda war, um die kommunistische Herrschaft in Polen zu legitimieren. Doch das stimmt nicht, denn die Beteiligung der 1. Tadeusz-Kościuszko-Infanterie-Division sowie polnischer Artillerie- und Pioniereinheiten am Angriff auf die Hauptstadt des Dritten Reiches, war von größter militärischer Bedeutung. „Den Sowjets fehlte in Berlin nämlich die Infanterie – Füsiliere zum Schutz der Panzerkanonen. Es gibt keinen größeren Albtraum für Panzerfahrer als den Straßenkampf ohne Schutz der Infanterie. Schließlich verbrannten die Deutschen im Zentrum Berlins rund 200 Panzer der Sowjets! Das Gleiche gilt für die Artillerieunterstützung, und die polnischen Pioniere waren von unschätzbarem Wert beim Bau von Übergängen über die zahlreichen Kanäle auf den Landstraßen und in Berlin selbst“ – betont Korczynski. „Ich erhielt mit meiner Gruppe von zwanzig polnischen Soldaten zwei sowjetische Panzer, die wir in der Bismarckstraße sichern sollten“, erinnert sich der Soldat Lech Tryuk, ein ehemaliger Warschauer Aufständischer. „Wir marschierten durch zwei Straßen, nur das der Hauptangriff durch eine Seitenstraße erfolgte, denn die Bismarckstraße war sehr stark befestigt, und in den Häusern waren Bunker gebaut (…) Die Goethestraße war eine Seitenstraße, und sie war etwas weniger verteidigt, aber sie erlaubte uns bereits, zum Reichstag zu marschieren.
Es gab keine Barrikaden in den Straßen, aber es gab Häuser, die auf der einen und auf der anderen Seite bemannt waren, in denen sehr viele dieser Nazi-Jugendlichen saßen, diese Hitlerjugend. Das waren solche Jugendlichen mit Panzerfäusten und die haben viele sowjetische Panzer aus dem Untergrund zerstört. (…) Wenn ich auf der einen Seite der Straße ging, passte ich auf, ob nicht ein Deutscher sich hinauslehnte und schoss. Und die auf der anderen Seite bewachten uns. Wir liefen ziemlich zügig.
Wir durchbrachen den deutschen Widerstand sehr erfolgreich. Natürlich gab es in den Häusern, in denen sie sich allzu tapfer wehrten, sowjetische Trupps mit Flammenwerfern für sie. Das war die Vergeltung für das Warschauer Ghetto. Wie ich bereits zu Beginn sagte, sprangen die Juden wie brennende Fackeln aus den Fenstern, so sprangen jetzt auch die Deutschen aus den Häusern. Wir waren nicht dumm, alle wussten, dass der Krieg zu Ende war. Deshalb eroberten sie Raum für Raum fast spielerisch, in dem sie sogar Granaten in die Häuser hinein schossen. Wer würde denn schon Raum für Raum einnehmen wollen, wenn umgekehrt die Deutschen da ständig Granaten hineinwerfen würden? Also entzündeten die Brandmeister fünf- oder sechsstöckige Häuser und die brannten wie Streichhölzer, und die Deutschen brutzelten dort (…) Ich stand da und starrte voller Genugtuung. Als ehemaliger Aufständischer stieg die Stimmung in mir hoch!
Als es eine Totenmesse für den verstorbenen General Komornicki gab, habe ich dort eine Abschiedsrede als Mitstreiter und Freund gehalten und gesagt, dass ich es auf dem Gewissen habe, dass ich froh bin, die Deutschen braten gesehen zu haben. Was sie mit uns gemacht haben, das hatten sie jetzt auch in Berlin. Aber der Priester hat mich davon freigesprochen“ (nach: Kaja Kaźmierska, Jarosław Pałka, „Żołnierze ludowego Wojska Polskiego Historie mówione“ – „Soldaten der Polnischen Volksarmee – Erzählte Geschichten“).
Manch einer mag sich am Gedenken an die Gräueltaten stören – aber das ist Krieg und die Wahrheit darüber, wozu er die Menschen treibt, zu welchen Entscheidungen er sie zwingt. Zum Vergleich: Die ersten polnischen Könige, die weithin gefeierten Schutzheiligen des Jahres 2025 (siehe oben), waren auch keine Heiligen.
Polnische Flagge auf der Siegessäule
Das Symbol der polnischen Beteiligung am Kampf um die Hauptstadt des Dritten Reiches war die Anbringung der polnischen Flagge auf der Berliner Siegessäule. So erzählte mir der verstorbene Hauptmann Antoni Jablonski, einer der Soldaten, die die rot-weiße Fahne hissten, im Jahr 2010: „Wir waren zu fünft an der Siegessäule [außer Jablonski: Oberleutnant Nikolai Troicki, Zugfeldwebel Kazimierz Otap, Kanoniere Eugeniusz Mierzejewski und Aleksander Kasprowicz – Anm. d. Verf.]. Ich diente bei der Artillerie, in der Funkstation, und leitete das Feuer. Als wir das erste Mal dort [in die Siegessäule – Anm. d. Red.] hineingingen, feuerten die deutschen Geschütze noch und es flogen Granaten. Es war zwei Uhr nachts, Mai, dunkel. Wir gingen tief in die deutschen Stellungen hinein. Wir sahen, dass dort ein Turm steht. Und Oberleutnant Troicki, der Kommandeur, sagte: ‚Jungs, das ist die Siegessäule. Damals, um 1870 [1873; Anm. d. Verf.], als Wilhelm gegen Frankreich gewann, baute er diese Siegessäule‘. Wir gingen hinein und sahen Kabel von deutschen Telefonen liegen, die Treppe hinauf. Es war ein Beobachtungspunkt für die Deutschen. Wir kappten diese Kabel und versteckten uns. Die Treppe war gewunden, aus Eisen, aber niemand kam sie herunter, um nachzusehen, warum es keine Kommunikation gab. Der Kommandant hielt die Maschinenpistole bereit, und je zehn Meter voneinander entfernt begannen wir hinaufzugehen. Wir stiegen hinauf. Wir schauen nach oben und da steht nur ein Telefonapparat. Und auf dem Turm sieht man diesen Engel, der als Zeichen des Sieges errichtet wurde. Und er war wahrscheinlich über drei Meter hoch.
Wir sind dann runtergegangen, um uns freiwillig wieder zum Kampf zu melden! Aber als wir hinunter gingen, sahen wir, dass noch deutsche Granaten flogen. Erst später kam der Kommandant und er sagte: ‚Jungs, die Deutschen legen bereits ihre Waffen nieder‘. (…) Da haben wir beschlossen, die Fahne aufzuhängen. Wir hatten ein Laken von der Funkstation, das wir daneben ausbreiteten, damit unsere Flugzeuge uns nicht bombardieren sollten. Rot und weiß, drei mal drei Meter. Wir fällten den Baum im Park, der neben der Säule stand. Wir nähten das Laken mit diesem deutschen Kabel, das die Stufen in der Säule hinaufging, daran fest. Zu fünft kletterten wir auf den Turm zu diesem Engel. An seiner Hand befestigten wir dieses Laken am Holm“.
Eine verschwiegene Aktion
Interessant ist, dass die polnischen Behörden die Aktion überhaupt nicht publik machten. „Unter Rokossowski [Marschall der UdSSR, 1949 zum Marschall von Polen ernannt – Anm. d. Verf.] war es jahrelang still im Hauptquartier, dass wir diese Aktion durchgeführt hatten. Und doch wusste das Kommando davon, weil wir es gemeldet hatten. Aber sie sprachen nur über die Fahnen, die die Russen aufgehängt hatten“, erzählte Antoni Jablonski. Er wies darauf hin, dass die Soldaten der Siegessäule erst in den 1960er Jahren von der Zeitung „Panorama des Nordens“ gefunden wurden. Es ist also nicht so, dass die Berling-Männer während der Volksrepublik Polen bedingungslos auf ein Podest gestellt und sofort in die Schulen geschickt wurden: Alles hing von der Stimmung der Behörden, den Beziehungen zu Moskau und den aktuellen Propagandatrends ab.
Die Berling-Männer wurden während der Polnischen Volksrepublik zu einem Element der Propaganda für die Armee – durch Einheitspatenschaften, Treffen mit Veteranen, Museen usw. – schreibt Dr. Tomasz Leszkowicz in seinem Buch „Spadkobiercy“ – „Die Erben von Mieszko, Kościuszko und Świerczewski. Die Volksarmee Polens als Institution der historischen Erinnerungspolitik“.
„Neben persönlichen Erinnerungsstücken, die von den Veteranen der Einheit erworben wurden, war ein wichtiges Element die Ausstellung von Waffen, die von Einheiten der Volksarmee während des Krieges verwendet wurden. Typische Exponate waren Mosin-Gewehre sowie Simonow– und Tokarew-Automatikgewehre, Pepeschas, Djegtjariow-Handmaschinengewehre (mit dem charakteristischen Rundmagazin), TT-Pistolen und Nagant-Revolver, Panzerabwehrkanonen und Granaten sowie schwere Maxim-Maschinengewehre (auf Rädern) und DSZK 192.
Auch an Mörsern und kleinen Panzerabwehrkanonen vom Kaliber 45 mm mangelte es nicht. Auch Mess- und Kommunikationsgeräte sowie Artilleriemunition waren zahlreich ausgestellt. Alle Ausrüstungsgegenstände waren sowjetischer Herkunft; was angesichts der Tatsache, dass diese Waffen während des Krieges von Soldaten der 1. und 2. Polnischen Armee benutzt wurden, nicht verwunderlich ist.“
All dies verstärkte jedoch das Bild des Krieges als ein Geschehen, das sich hauptsächlich an der Ostfront abspielte und spezifische Symbole trug (z. B. das klassische Bild eines Rotarmisten mit einer Pepescha). „Bei den ‚Kościuszko‘-Einheiten wurden übrigens ebenso gerne die traditionellen Sensenköpfe für die Dekoration verwendet“, beschreibt Dr. Leszkowicz die Ausstattung der Gedenkorte.
Polnischer Soldat und … deutscher Antifaschist
An der Weichsel wurde in den Schulen und in der Armee durchaus über Berlin gesprochen. Im Westen hingegen ist man sich – außer unter Historikern – nicht bewusst, dass Polen an den Kämpfen um die Hauptstadt des „Dritten Reiches“ teilgenommen haben. Auch im Ausland wird dieses Thema im Rahmen der polnischen Geschichtspolitik nach 1989, als der Schwerpunkt auf den „weißen Flecken“ und der Entlarvung der kommunistischen Propaganda lag, nicht besonders gefördert.
Wer jedoch glaubt, dass es während der Volksrepublik Polen keine Probleme mit dem Gedenken an die Kämpfe polnischer Soldaten in Berlin gab, der irrt – wenn er auch ziemlich verwirrt wird durch die unterschiedlichen Erzählungen der polnischen und ostdeutschen Regierungen. Dies wurde von Dr. Rafał Żytyniec in den Artikeln „Rola Polski w antifaszystowskiej polityki pamięci DDR“ ( „Die Rolle Polens in der Erinnerung der antifaschistischen Politik der DDR (1949-1972“, in: „Przegląd Zachodni“ nr 2/2015) und „Symbol des Denkens und Handelns der besten Kräfte beider Nationen“ oder „Geschichte des polnischen Kampfes gegen den Faschismus“ ausführlich beschrieben (Vgl. „Denkmal für den polnischen Soldaten und den deutschen Antifaschisten in Berlin-Friedrichshain (1965-1989), in Robert Traba (Hrsg.), Histories of Mutual Interactions.
Aus diesen Materialien geht hervor, dass ein besonderes Symbol für die sich nicht überschneidenden Absichten der polnischen und der ostdeutschen Regierungen der Bau eines Denkmals im Bezirk Friedrichshain im Jahr 1972 war, nachdem viele Jahre lang daran gearbeitet wurde. Es erhielt den Namen „Denkmal für den polnischen Soldaten und den deutschen Antifaschisten“. Der polnischen Seite war daran gelegen, den Beitrag unserer Soldaten hervorzuheben. Die ostdeutsche Seite wollte unbedingt die Existenz der antifaschistischen Opposition hervorheben. Die beiden Positionen mussten irgendwie unter einen Hut gebracht werden.
In der Diskussion gab es auch das Thema Sowjetunion. „Der ursprüngliche Entwurf für das Relief, der von Arnd Wittig stammt, zeigte nur zwei Figuren: einen polnischen Soldaten und einen deutschen Antifaschisten. Erst im Juni 1971 lieferte Wittig einen Entwurf mit drei Figuren, der neben den genannten Silhouetten auch einen sowjetischen Soldaten zeigt (…) Durch die zusätzliche Anfertigung eines Reliefs eines Rotarmisten fügte sich das Denkmal in die Hierarchie der offiziellen Erinnerungspolitik der DDR ein“, beschreibt Dr. Żytyniec. Der Rotarmist vereinte Polen und Deutsche, die offenbar nur unter seinem Arm gemeinsam handeln konnten.
Der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik sagte bei der Enthüllung des Denkmals: „Mit diesem Denkmal ehren wir zugleich die deutschen Kommunisten und Antifaschisten, die sich dem Nazifaschismus und seinem imperialistischen Annexionskrieg mutig entgegengestellt haben. Der heldenhafte Kampf, den polnische Kommunisten und Patrioten gemeinsam mit deutschen Kommunisten und Antifaschisten in der Hölle der faschistischen Gefängnisse und Konzentrationslager führten, wird uns unvergesslich bleiben. Auch dort verband sie die Klassensolidarität, die fest im Bündnis des deutschen und polnischen Proletariats mit seinen reichen revolutionären Traditionen verwurzelt war“. Von Seiten der DDR diente der Bau des Denkmals also dem Zweck, die Anti-Hitler-Opposition zu mythologisieren, sie als stärker darzustellen als sie tatsächlich war.
„Ein Deutscher hat sich gemeldet“
Nach der Enthüllung des Denkmals versäumten es auch kommunistische Journalisten und Schriftsteller nicht, die antifaschistischen Deutschen zu erwähnen. Ein Autor erklärte: „In Spandau (…) trafen polnische Soldaten auf deutsche Antifaschisten, die sich aktiv am Kampf gegen die Nazi-Armee beteiligt hatten. Ein Deutscher in Zivil mit einem roten Band am Revers meldete sich bei einem polnischen Unterleutnant, dessen Einheit auf die zurückweichenden Nazis schoss, um bei der Identifizierung von Wehrmachtseinheiten zu helfen.“ Laut Dr. Zytynets „bedient sich der Autor hier der klassischen pars pro toto-Argumentation: Ein deutscher Antifaschist, der im Zusammenhang mit dem heldenhaften Kampf der Polen um Berlin erwähnt wird, soll zum Inbegriff für die angebliche Existenz einer massenhaften und aktiven Widerstandsbewegung in Deutschland werden“.
Heute gibt es mehrere Gedenkstätten für die Kämpfe der polnischen Soldaten in Berlin und in der Lausitz. Doch erst im Jahr 2020 wurde am historischen Ort der Kämpfe, neben den Gebäuden der Technischen Universität Berlin, ein kleines Denkmal errichtet, das ausschließlich den Polen gewidmet ist, die an der Befreiung Berlins teilgenommen haben. Es handelt sich um einen drei Meter hohen Fahnenmast mit einer Karte der Kampfgebiete und der Inschrift: „Zum Gedenken an die Soldaten und Soldatinnen der 1. polnischen Armee, die 1945 an der Schlacht um Berlin teilnahmen und im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition in den Bezirken Charlottenburg und Tiergarten für die Befreiung Polens und Europas vom Faschismus kämpften“. Die Gebäude des damaligen Polytechnikums, die am 2. Mai 1945 von der 1. Warschauer Infanteriedivision Tadeusz Kosciuszko befreit wurden, waren einer der stärksten Widerstandspunkte der Nazis auf dem Weg zur Reichskanzlei.
Die letzten Veteranen
Es gibt immer weniger Zeitzeugen für diese historischen Ereignisse. „Ich kenne persönlich einige, die als Soldaten der 1. und 2. Armee der polnischen Armee an diesen blutigen Kämpfen teilgenommen haben. Einige wenige hoffe ich noch zu erreichen, da ich bereits von ihrer Existenz weiß. Eine viel größere Gruppe sind jedoch diejenigen, die bereits verstorben sind und an die wir uns nur noch erinnern können, und leider wächst diese Gruppe weiter. Die Zeit und die Biologie sind unerbittlich, und wir werden die Geschichte des Zweiten Weltkriegs bald nur noch aus Büchern oder Archiven erfahren können. Umso schmerzlicher ist die Frage der Auslöschung oder Sezierung der Soldaten der polnischen Armeeformationen an der Ostfront“, so Piotr Korczyński.
„Die Tatsache, dass über Berlin weiß-rote Fahnen wehten, entsprach der polnischen Staatsraison so weit wie möglich. Die Trauer der Veteranen darüber, dass ihr Kampf und ihre Opfer stillschweigend übergangen wurden, war bei jedem Treffen, das ich hatte, deutlich zu spüren – bei denen, die es nicht aus den Lagern oder dem Exil zur Anders-Armee geschafft hatten, und auch bei denen, die als Wehrpflichtige oder direkt aus einer Partisaneneinheit der Heimatarmee in die polnische Armee eingetreten sind, weil sie vor die unmögliche Alternative gestellt wurden: entweder Sibirien oder Berling-Armee, oder sie haben sich freiwillig gemeldet, um eine polnische Uniform anzuziehen und gegen die Besatzer zu kämpfen. Ihnen eine kollektive Verantwortung aufzuerlegen, ist einfach eine Ungerechtigkeit, die diejenigen, die sie begehen, mit den sowjetischen Politbüros vergleichbar macht.“
Damit wird auch eine wichtige Frage aufgeworfen. Es ist unwahrscheinlich, dass Wladimir Putin anlässlich des diesjährigen 80. Jahrestages der Einnahme Berlins in der deutschen Hauptstadt erscheinen wird, während die bloße Erwähnung russischer Soldaten – im Zusammenhang mit der laufenden Aggression gegen die Ukraine – ziemlich beunruhigend sein wird.
Eine Herausforderung für die polnische Geschichtspolitik
Ist dies nicht eine Chance für die Belebung der polnischen Geschichtspolitik? Da wir bei der berühmten Siegesparade in London 1946 nicht dabei waren, wäre es vielleicht lohnenswert, wenn die Regierung dafür sorgen würde, dass Veteranen – sowohl aus der polnischen „Volksarmee“ als auch aus den Armeen im Westen – zu den diesjährigen wichtigen Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs kommen? „Aber natürlich würden sie das tun“ – bestätigt Piotr Korczynski. „Wir dürfen nur nicht vergessen, dass es sich dabei größtenteils um sehr kranke Menschen handelt, die an Rollstühle oder Krankenhausbetten gefesselt sind. An diesem letzten runden Jahrestag, an dem Veteranen aller Fronten des Zweiten Weltkriegs zu Lebzeiten teilnehmen können, sollten sie besonders geehrt werden. Ausnahmslos alle, denn wir Menschen in Friedenszeiten können uns nicht vorstellen, wie schrecklich ihre Kriegstraumata waren. Und mögen weder wir noch künftige Generationen sie erleben müssen.“
* Anm d. Red. Blog Emanzipation und Geschichte zur Anders-Armee: Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands im Juni 1941 auf die Sowjetunion stellte die Sowjetunion aus den nach der Aufteilung Polens im Hitler-Stalin-Pakt zwischen 1939 und 1941 nach Sibirien deportierten Pol:innen in Absprache mit der polnischen Exil-Regierung in London neue polnische Streitkräfte unter dem Oberkommando des gefangenen polnischen Generals Wladyslaw Anders auf. Zehntausende Soldat:innen der neuen polnischen Streitkräfte wurden wegen der fehlenden Möglichkeit, sie auszurüsten, über den Iran zur Unterstützung der britischen Armee in Nordafrika überstellt. An der Seite der britischen Truppen erkämpften sie über die Befreiung Italiens ihren Weg bis nach Deutschland.
Die Redaktion des Blog Emanzipation & Geschichte dankt Norbert Kollenda für die Möglichkeit, diesen von ihm übersetzten Artikel aus seiner Polnischen Presseschau 230 zu übernehmen. Wir veröffentlichen den Artikel redaktionell überarbeitet in der nicht gegenderten Schreibweise des Autors.
Quelle: Polnische Presseschau 230; medien-polen@listen.attac.de
Polnische Originalquelle: https://oko.press/polacy-zdobywcy-berlina-zapomniani
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